Rezension zu "Madame De Pompadour" von Nancy Mitford
Nur wenige Frauengestalten der französischen Geschichte üben eine so starke und dauerhafte Faszination aus wie Madame de Pompadour, geborene Jeanne-Antoinette Poisson (1721-1764), die langjährige Geliebte, Vertraute und Ratgeberin Ludwigs XV. Ein ähnlich intensives Interesse wecken allenfalls Katharina von Medici und Marie-Antoinette. Mehr als zwanzig Jahre lang war Madame de Pompadour in wechselnden Rollen Gefährtin des Königs. Im Gegensatz zu vielen anderen Mätressen bewahrte sie ihre prominente Stellung am Hof und ihren Einfluss, nachdem sich die Liebesbeziehung zwischen ihr und dem König in eine Freundschaft gewandelt hatte. Die Tochter einer bürgerlichen Familie, vom Monarchen zur Marquise von Pompadour erhoben, lernte die Licht- und Schattenseiten des Daseins als königliche Favoritin kennen, das Luxusleben am glänzendsten Hof Europas ebenso wie Spott und Verachtung vieler Zeitgenossen. Die Frage, wie sich Madame de Pompadour so ungewöhnlich lange im Zentrum der Macht halten konnte, von welchen Motiven und Impulsen sie getrieben wurde, fesselt Historiker, Sachbuchautoren und das Lesepublikum bis heute. Jede Generation wendet sich aufs Neue dieser bemerkenswerten Frau zu. Entsprechend umfangreich und schwer zu überschauen ist die ältere und neuere Literatur über die Marquise. Seit dem 18. Jahrhundert hat das Pompadour-Bild mehrere Wandlungen erfahren. Zu ihren Lebzeiten musste die Favoritin als Sündenbock für politische Mißstände und Frankreichs Niederlagen im Siebenjährigen Krieg herhalten. In der von bürgerlichen Moralvorstellungen geprägten französischen Geschichtswissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts dienten Ludwig XV. und seine Geliebte als Symbol für die vermeintliche Dekadenz des Ancien Régime. Der König galt als willensschwach, verantwortungsscheu und manipulierbar, seine Mätresse als intrigant, machtversessen und verschwendungssüchtig. Viele Autoren hielten es nicht für nötig, Fakten und Fiktionen zu unterscheiden; sie kolportierten in ihren Büchern Legenden, Gerüchte und Hofklatsch. Ähnlich wie im Falle Katharinas der Großen sind viele ältere Werke über Madame de Pompadour der historischen Trivialliteratur zuzuordnen.
Doch schon zu Zeiten der Dritten Republik (1871-1940) bahnte sich die allmähliche Rehabilitierung der vielgeschmähten Marquise an. Die Brüder Goncourt und der Historiker Pierre de Nolhac erarbeiteten auf der Grundlage vertrauenswürdigen Quellenmaterials ein realistisches Bild von der Rolle, die Madame de Pompadour am Hof Ludwigs XV. spielte. Ihre Einflussnahme auf die Politik war geringer, als viele Zeitgenossen mutmaßten. Moderne Biographen Ludwigs XV., etwa Michel Antoine und Jean-Christian Petitfils, halten den politischen Einfluss der Marquise für vernachlässigbar. In Anlehnung an die Goncourts und Nolhac heben Autorinnen und Autoren der neueren und heutigen Zeit Madame de Pompadours Bedeutung als Förderin der Künste und Wissenschaften und als Bauherrin hervor. Das Mäzenatentum und die Bautätigkeit der Marquise waren in jüngerer Zeit wiederholt Gegenstand kunsthistorischer Forschungen. Die Pompadour-Biographik steht unvermindert in Blüte. Kaum ein Jahrzehnt vergeht, ohne dass neue Biographien über die Marquise erscheinen. Die günstige Quellenlage war schon immer ein Anreiz, eine Pompadour-Biographie in Angriff zu nehmen. Die Korrespondenz der Marquise ist in großen Teilen erhalten geblieben, mit einer Ausnahme: Der Briefwechsel mit dem König ist komplett verloren. Eine Pompadour-Biographie, die ernst genommen werden will, kann sich nicht in der Erzählung sattsam bekannter Fakten erschöpfen. Sie sollte anhand der verfügbaren Quellen bestimmte Aspekte untersuchen, etwa das politische Wirken und die Vermögensverhältnisse der Marquise. Sechs Bücher werden hier vorgestellt und vergleichend rezensiert. Sie stammen von französischen, angelsächsischen und deutschen Autorinnen und Autoren: Nancy Mitford (1954), Tibor Simanyi (1979), Danielle Gallet (1985), Evelyne Lever (2000), Christine Pevitt Algrant (2002) und Uwe Schultz (2004). Die Bücher von Gallet und Pevitt Algrant liegen nicht in deutscher Übersetzung vor. Sie dürften in Deutschland weitgehend unbeachtet geblieben sein.
Auf den ersten Blick mag es seltsam wirken, auch das bald 70 Jahre alte Buch von Nancy Mitford zu rezensieren. Doch die Erklärung ist einfach: In der angelsächsischen Welt gilt das Buch als zeitloser Klassiker. Es wird immer wieder neu aufgelegt, zuletzt 2011 vom Penguin-Verlag als Teil der Reihe "Vintage Classics". Die Rezension beruht auf einem Exemplar dieser Ausgabe. Seit ihrer Erstveröffentlichung 1954 – eine leicht überarbeitete Neuausgabe erschien 1968 – hat die Biographie in Großbritannien, in den USA, in Frankreich und Deutschland ein Millionenpublikum gefunden. Die deutsche Ausgabe erschien bereits Mitte der 1950er Jahre beim Hamburger Verlag Marion von Schröder. Bis in die 1990er Jahre war die Biographie als Heyne-Taschenbuch verfügbar. Es ist zu bedauern, dass der Penguin-Verlag die Vintage-Ausgabe so schlecht ausgestattet hat. Nicht nur fehlen die Abbildungen der Originalausgabe und eine Bibliographie auf dem aktuellen Stand. Der Verlag hat auch darauf verzichtet, einen Historiker mit der Aufgabe zu betrauen, das Buch in einer Einleitung kritisch zu würdigen. Dieser achtlose Umgang mit einem Klassiker ist befremdlich. Die Journalistin, Schriftstellerin und Sachbuchautorin Nancy Mitford (1904-1973) war die älteste der sechs berühmt-berüchtigten Mitford-Schwestern. Seit 1946 lebte Mitford dauerhaft in Frankreich. Keine andere Britin ihrer Zeit war von einer so leidenschaftlichen Frankophilie erfüllt wie Mitford. Ihre Pompadour-Biographie und auch der opulent ausgestattete Text-Bildband über Ludwig XIV. (1968) bezeugen eine tiefe und innige Vertrautheit mit der Geschichte, Kunstgeschichte und Literatur Frankreichs. Mitford war aristokratischer Herkunft, und sie war Autodidaktin. Sie besuchte nie eine höhere Schule oder Universität. Ihre historischen Kenntnisse beruhten auf jahrzehntelangem Selbststudium. Diese beiden Faktoren sollte man bei der Bewertung der Pompadour-Biographie berücksichtigen.
Das Buch richtet sich an ein Laienpublikum mit solider historischer Bildung. Mit wissenschaftlichen Maßstäben darf man an die Biographie nicht herangehen. Das Buch ist mit knapp 230 Seiten Text (in der Vintage-Ausgabe) die schmalste der sechs Biographien. Mitford konzentriert sich auf das Wesentliche; die Erzählung schreitet zügig voran. Als erfahrene Autorin beherrscht Mitford die Kunst der knappen, treffsicheren Personencharakterisierung und der Auswahl interessanter Anekdoten und Zitate. Mitford stützt sich auf die Sekundärliteratur, die um 1950 vorlag, und edierte Quellen (Briefe, Memoiren). Unveröffentlichtes Archivmaterial zieht sie nicht heran. Nirgendwo erschließt das Buch Neuland. Der eigentümliche, schwer zu beschreibende Reiz, den das Buch gleichwohl ausstrahlt, beruht auf Mitfords freigeistiger Haltung gegenüber dem 18. Jahrhundert und den historischen Akteuren. Mitford, die passionierte Liebhaberin alter Bücher und Schlösser, schöner Bilder und Kunstgegenstände, erkennt in Madame de Pompadour eine Geistesverwandte. Enthusiastisch rühmt sie Intelligenz, Kunstsinn und Mäzenatentum der Marquise. Sie äußert sich mit echter Kennerschaft über die Bautätigkeit, Sammelleidenschaft und Kunstförderung der Marquise. Mitford lässt keinen Zweifel daran, dass Madame de Pompadour zu den gebildetsten und kultiviertesten Frauen ihrer Zeit zählte. Das machte sie – neben körperlichen Vorzügen – so attraktiv für den König, der sich eine geistreiche und anregende Gefährtin an seiner Seite wünschte. Bauen und Dekorieren waren die gemeinsame Leidenschaft des Paares. Unverkrampft, mit nobler Gelassenheit beschreibt Mitford die Beziehung zwischen Ludwig XV. und der Marquise; das turbulente, hedonistische Leben des Adels in Versailles schildert sie mit gelegentlichem Augenzwinkern und ironischen Untertönen. Nichts liegt ihr ferner als moralische Empörung und kleingeistiges Eifern über die angebliche Verderbtheit und Verkommenheit des Hofes. Mitford schreibt als Aristokratin über Aristokraten. In einem Brief an den Schriftsteller Evelyn Waugh meinte sie einmal: "Ich glaube, unsere Generation ist die letzte, die einen Mann wie Ludwig XV. verstehen kann." Trotz des zeitlichen Abstandes kann sich Mitford in ihre Figuren einfühlen, weil sie selbst aus einem privilegierten sozialen Milieu stammt, dessen Leben um Jagd und Kunstgenuss, Sinnenfreude und Liebesabenteuer kreist. Dazu passt auch Mitfords auffälliges Desinteresse an Geldfragen. Über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Marquise verliert Mitford kein einziges Wort. Für die politischen Zustände interessiert sie sich ebenfalls kaum, und sie arbeitet nicht heraus, wie sehr die Langzeitbeziehung zwischen König und Marquise zum Ansehensverlust der Monarchie beitrug.
FAZIT
Eine Leseempfehlung verdienen nur die Biographien von Danielle Gallet und Christine Pevitt Algrant. Nancy Mitfords Buch ist unbestreitbar bezaubernd, doch für eine ernsthafte, vertiefte Beschäftigung mit Madame de Pompadour ist es aufgrund seines hohen Alters nicht geeignet. Die Bücher von Tibor Simanyi, Evelyne Lever und Uwe Schultz sind mehr oder weniger missglückt, läppisch, ohne Wert. Es fällt auf, dass alle sechs Autorinnen und Autoren nicht versuchen, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Marquise systematisch zu durchleuchten. Daher bleibt unklar, wie Madame de Pompadour ihren aufwendigen Lebensstil finanzierte.