Was braucht es zum Glücklich sein?
Marie ist Ende 30, Journalistin, zweifache Mutter. Sie lebt seit zwanzig mit dem gleichen Mann zusammen und ist mit ihm glücklich verheiratet. So beurteilt auch die Hauptprotagonistin Marie die Beziehung zu ihrem Ehemann, in dem sie einen liebevollen Lebenspartner gefunden hat, mit dem sie auch reden, lachen, diskutieren, entspannen und genießen kann. Man kann sagen, Marie hat sich in ihrem Privat- und Berufsleben eingerichtet. Für Außenstehende erscheint Maries Leben auch aus finanziellem, beruflichem Blickwinkel glücklich und perfekt.
Bis zu dem Tag an dem Serge in ihr Leben tritt und sie sich ihre familiärer Vergangenheit, ihrer Kindheit stellen muss. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg: Fast ein Jahr lang, ist Marie hin und her gerissen, fährt emotional Achterbahn. Nach und nach erkennt sie, gesteht sie sich ein, was sie braucht und will, und wie ihr Leben weitergehen soll…
Maries Weg dorthin und wie sie sich verändert und sich ihr Leben weitergestaltet, erfahren die Leser in dem nicht so typischen Liebesroman mit dem aussagekräftigen und passenden Titel „Und zwischen uns ein Jahr“.
Meinung:
Sie hat mich gepackt, diese Marie – mich eingefangen in ihr Leben. Ihre Widersprüchlichkeit in ihren eigenen Empfindungen. Ich sehe sie schon zu Beginn der Geschichte – es ist die Trauerfeier ihres Vaters - vor meinem inneren Auge. Ihre plötzliche Unsicherheit und Zerrissenheit führen dazu, dass sich der Leser durchgängig fragt, welcher Weg ist nun der Richtige für Maries zukünftiges Leben? Viele Leser werden die Meinung vertreten, diese Frau hat alles und ist noch dazu gesund, also sollte sie dieses Glück nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen. Der Leser steigt mit Marie für die kommenden 12 Monate in eine Achterbahn der Gefühle ein, sie lernen eine Marie kennen, die sich selber und ihrer persönlichen Umgebung immer Fremder wird. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. In Maries Leben ist die Zukunft nicht mehr sicher, dass, was sie ursprünglich wollte, wie ihr Leben verlaufen soll, wo sie hin will, stellt sie in Frage oder sie ist gedanklich weit weg. Nur körperlich anwesend in ihrem bisher glücklichen, kontrollierten Leben. Apathie und Lethargie werden oft zu Maries Begleitern.
Mit Maries bester Freundin und Berufskollegin Freya und ihrem Mann Michel stellt die Autorin genauso wie mit einem befreundeten Ehepaar zwei weitere Paare vor, die alles zu haben scheinen, um glücklich zu sein. Ihr Lebensentwurf ist in vielerlei Hinsicht dem von Marie und Johannes vergleichbar, bis Serge und ihre Mutter wieder in ihr Leben treten. Diese beiden Paare mit ihren Kindern stellen eine Art Paradebeispiel für eine funktionierende Partnerschaft und Familie dar. Sie zeigen einen Weg auf den Marie einschlagen könnte, nachdem sie Serge wieder getroffen hat. Sie sind die „Normalität“ in Maries Leben, während sie und ihr Leben immer fragiler zu werden scheint.
Gut und gekonnt hat die Autorin diese Protagonisten der Hauptprotagonistin und ihrer Familie gegenübergestellt. Nicht mit erhobener, rechtschaffener Hand diese Familien als das einzig wahre und richtige in die Geschichte schreibend eingeführt. Diese Protagonisten genauso wie Maries Mann Johannes und ihre Kinder Anton und Viva verblassen nicht vor Marie. Sie stehen – was die Erwachsenen betrifft - Marie mit all ihrer Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit auf Augenhöhe gegenüber. Diese erwachsenen Protagonisten interagieren mit Marie, bieten Marie Angriffs- und Projektionsflächen, sind nicht still und nehmen alles hin. Sie mischen sich ein, lassen sich nicht alles gefallen. Kein Schwarz oder Weiß gibt es hier. Ihr Mann überrascht Marie zusehends in seinem Verhalten. Nichts kann sie mehr kontrollieren und vorhersehen. Nicht mal ihrem eigenen Sohn Anton gegenüber die Fassade aufrecht erhalten. Das clevere sympathische Kerlchen beginnt an ihren Worten zu zweifeln, stellt sie in Frage.
Der Roman wartet nicht mit einem vorhersehbaren, geradlinigen Happyend auf und hat viele emotionale Wendungen zu bieten, die den Leser vor den Kopf stoßen, verwirrt zurücklassen und die Leserschaft sehr polarisiert. Denn Marie ist kein „einfacher“ Charakter, dem sich der Leser problemlos lesend nähern kann. Aber will das Natascha Rodrigues überhaupt?
Noch einmal zu meiner obigen Frage zurückzukommen, und eine weitere Frage in den „Raum zu werfen“:
Was ist Glück?
Die Antworten sind so vielfältig, wie es Menschen gibt. Doch eine Aussage von Marie bringt die Zerbrechlichkeit des Glücks auf den Punkt: "Wenn man Glück töten kann, bin ich eine Mörderin." (Seite 217).
Sprache:
Emotional und sachlich zugleich ist die Sprache des Romans, so wie Maries Leben und Maries Umgang damit gerade verläuft. Beschreibend ist die Wiedergabe von Maries Gedanken. Bildhaft vorstellbar sind die Beschreibungen der Orte und anderer räumlicher Begebenheiten, in denen sich Marie gerade aufhält, so z.B. im Urlaub. Der sprachliche Ausdruck der Autorin lässt die Geschichte schnell und flüssig lesen. Es ist die Handlung, die den Leser auch mal Stocken und nachdenklich werden lässt.
Cover und Layout:
Zwei Blumen rot und gelb stehen vor einem „hoffnungsvollen“? zartgrünen Hintergrund in einer Vase mit Wasser. Die beiden Schnittblumen scheinen alles zu haben, was sie für ein gutes Leben benötigen. Doch so fragil wie das Leben dieser Blumen auf dem Cover, ist auch das Leben von Marie in dieser Geschichte. Die Blumen sind schön, so war Maries Leben bis zum Wiedersehen mit Serge auch. Ich finde das Cover stimmig und passend zu der Geschichte. Genauso wie der Titel „Und zwischen uns ein Jahr“ (s.o.)
Was mir beim ersten Blick ins Buch sofort aufgefallen ist, sind die Seitenzahlangaben, die Kapitelüberschriften und die ersten Worte in jedem der acht Kapitel. Die Schriftart dieser auffallenden Layout-Elemente gleicht einer weich geschwungenen Frauenhandschrift, und steht im totalen Kontrast zum Fließtext. Denn der Fließtext wartet mit einer Roman-typischen Schriftart, einem angemessenen Zeilenabstand und für den Lesefluss passenden Absätzen auf. So wie es der Leser bereits aus hunderten anderen Büchern kennt. Doch die Seitenzahlangaben, Kapitelüberschriften und Satzanfänge zu Beginn jedes Kapitels bekommen durch diese Schriftart einen besonderen, auffallenden Touch. Da hat sich jemand im Layout sicher sehr viele Gedanken gemacht. Dankeschön. :-)