Obwohl ich selten Ausflüge ins Krimi-Genre mache, gibt es doch etwas, das mich immer wieder dazu bewegen würde: ein neuer Roman von Natasha Korsakova. Die Autorin hat mich mit ihren ersten beiden Büchern über den Detektiv Dionisio Di Bernardo, der in Rom ermittelt, absolut überzeugt. Das Besondere an ihnen ist der Musikcharakter. Denn was man wissen muss, Korsakova ist eigentlich professionelle Violinistin. Kein Wunder also, dass di Bernardo immer mal wieder in der Musikwelt ermitteln muss. So auch diesmal in Korsakovas neustem Buch, das genauso heißt, wie seine Hauptfigur. Und obwohl ich an "Di Bernardo" durchaus kleine Kritikpunkte habe, muss ich sagen, dass mich das Buch trotzdem absolut in seinen Bann gezogen hat!
Klappentext
Rom. Ein grausamer Doppelmord hat sich neben der Basilica di San Giovanni in Laterano ereignet. Alessandro Ferro, ein bekannter römischer Komponist, liegt tot in einer riesigen Blutlache, eine Pistole in der Hand. Dagegen scheint niemand die junge Frau zu kennen, die nur wenige Meter entfernt von ihm erschossen wurde – mutmaßlich von Alessandro selbst. Commissario Di Bernardo, der zusammen mit seinem Inspettore Roberto Del Pino schon Jahre zuvor in der illustren Musikwelt ermittelt hat, wird mit dem Fall beauftragt. Schon bald gibt es eine Handvoll Verdächtige. Eine von ihnen ist Alessandros Ex-Freundin Elisa – eine Geigerin, die mit Umweltaktivisten sympathisiert, die sich gegen den illegalen Holzhandel starkmachen. Eine andere Spur führt Di Bernardo zu einem römischen Bogenbauer, der die gefährdeten Tropenhölzer quasi mit Gold aufwiegt.
Ohne es zu ahnen, betritt Di Bernardo eine Welt, die von Habgier, Existenzängsten und Konkurrenzdruck gleichermaßen regiert wird.
Doch wie weit kann man für die eigenen Ziele gehen? Eine Frage, die auch der Commissario sich stellen muss, als die dritte Leiche gefunden wird und alle seine bisherigen Hypothesen zunichte gemacht werden …
Meinung
Commissario Di Bernardo war für mich wahrlich kein Unbekannter. Schon Korsakovas Debüt „Tödliche Sonate“ ließ mich zu einer Anhängerin des Kommissars werden. Ich war also sehr gespannt, wie sich die Figur entwickelt hat und was sein neuster Fall bringen würde. Tatsächlich finde ich, dass Di Bernardo selbst und seine Entwicklung in diesem Buch mehr im Fokus stehen, als in den beiden Vorgängern. Daher ist wahrscheinlich auch sein Name als Titel gewählt worden. Wenn ich gerade an diesem Punkt bin, muss ich hier aber leider auch meine Kritik äußern. So sehr ich den Mitfünfziger mag und seine Denkweise schätze, seinen eher leisen Humor liebe und wirklich gern lese, wie er sich um sein Team kümmert, so muss ich doch festhalten, dass der Titel „Di Bernardo“ der Geschichte einfach nicht gerecht wird. Meiner Meinung nach hätte man hier wirklich etwas Aufmerksamkeitserregenderes wählen sollen. Denn, ja! Natürlich ist Di Bernardo die Figur, die die Handlung trägt. Aber nichtsdestotrotz gibt es noch so viele tolle Nebenfiguren und eben auch die Morde haben titeltechnisch wirklich viel mehr Potenzial.
Aber gut. Daran will ich mich nicht aufhalten. Der Titel stört mich eben auch nur deswegen, weil ich ihn für ein mögliches Publikum so wenig aussagekräftig finde. Und das ist schade. Denn die Geschichte hatte mich sofort in ihren Bann gezogen!
Der Leser findet sich als erstes in einem Prolog wieder, deren Charaktere gänzlich unbekannt sind. Wir sind in Rumänien und werden Zeuge eines Beseitigungsmordes. Schon hier kochten meine Emotionen hoch, denn die Autorin versteht es wirklich gut, auch die Abgründe des Menschen darzustellen und nichts schönzureden. Die Welt ist in vielen Teilen unfair und das wird hier sehr deutlich. Zu keinem Zeitpunkt versucht das Buch irgendwelche Kompromisse zu machen oder unlogische Handlungsstränge aufzubauen, nur damit es möglicherweise ein Happy End gibt. Und genau das führt dazu, dass man mit den Figuren mitfühlt. Ich konnte Di Bernardos Verzweiflung an vielen Stellen so nachfühlen, wenn er in den Ermittlungen auf der Stelle trat. Gerade der Mord an der jungen Livia ist bewegend und wirft Rätsel auf. Wie der Klappentext schon vermuten lässt, ist die Handlung und die darin enthaltene Ermittlung vielschichtig. Es gibt mehrere Spuren und alle scheinen ins Leere zu führen. Lange sind Di Bernardo, Del Pinio und das restliche Team ratlos. Das sorgt aber keinesfalls für Langeweile beim Leser. Im Gegenteil. Leerstellen werden mit privaten Angelegenheiten gefüllt, sodass die Figuren sehr menschlich werden und das Szenario unglaublich realistisch wird. Auch Korsakovas Beschreibungen von Orten oder Straßen sorgen dafür, dass ich immer wieder dachte, ich sei wirklich in Rom. Ihre Sprachvielfalt ist gewaltig. Und gleichzeitig ist der Schreibstil sehr flüssig und immer gut lesbar. Meines Erachtens schreibt sie auf eine gewisse Weise intelligent und spricht damit genau ihre Zielgruppe an.
Über Di Bernardo selbst habe ich glaube ich genug gesagt. Die Nebenfiguren der Geschichte sind ebenfalls sehr sympathisch. Roberto Del Pino ist eigentlich schon keine Nebenfigur mehr und der jüngere Ermittler übernimmt auch in diesem Fall eine sehr große Rolle. Er zweifelt erstmals deutlich an sich und man bemerkt seine Verletzbarkeit. Doch auch die Gerichtsmedizinerin Isabella oder Personen wie Andrea, Anna oder Frederica sind authentisch gestaltet und nehmen ihre Position in der Handlung gut ein. Das gesamte Figurenkonstrukt ist gelungen. Und dann wären da noch die Verdächtigen. An diesen mangelt es anfangs definitiv. Doch auch die finale Auflösung hat mir sehr gut gefallen. All die falschen Fährten führten zwar nicht unbedingt zur Lösung, doch sie hinterlassen beim Leser oft Denkimpulse. Hier meine ich vor allem den Umweltschutz. Denn wem, der kein professioneller Musiker ist, ist schon klar, dass die Geige durchaus umweltschädlich ist? Ich fand diesen Kontext sehr spannend, obwohl er manchmal auch verwirrend für den Leser sein kann. Als „verwirrend“ empfinde ich auch noch immer ein paar kurze Kapitel im Buch. Eine Handvoll sind aus einer recht unklaren Perspektive in kursiven Lettern geschrieben. Ehrlich gesagt bin ich mir immer noch nicht sicher, was mir diese kurzen Absätze sagen sollen, weshalb ich sie für die Handlung als nicht wirklich notwendig empfinde. Aber wahrscheinlich hat sich mir der höhere Sinn einfach nicht erschlossen.
Neben meinen kleinen Kritikpunkten muss ich aber auch eine Sache noch hervorheben. Im Buch sind insgesamt fünf QR-Codes abgedruckt, zumeist zu Kapitelbeginn. Diese führen zu Youtube-Aufnahmen der Autorin. Hier kann sich dann tatsächlich jeder überzeugen, dass Korsakova nicht nur eine unglaublich tolle Autorin, sondern auch eine atemberaubende Musikerin ist. Es macht schon Sinn, die Codes zu scannen, während man liest und entweder mit der Musik im Hintergrund weiterzulesen oder sich ihr ganz allein hinzugeben. Es macht doch etwas mit einem als Leser, wenn man dies tut. Und so schwer ist es in unserer digitalen Welt ja nun einmal nicht. Toll an den Stücken ist auch, dass so noch einmal viel deutlicher wird, dass die Musik die ganze Zeit Teil der Ermittlung und auch ein alter Bekannter ist.
Fazit
Meine Kritik an „Di Bernardo“ lässt sich schnell zusammenfassen: Der Titel (und übrigens auch das Cover) ist mir zu wenig aussagekräftig und der Geschichte unwürdig. Kurze Abschnitte im Buch haben sich mir nicht erschlossen. Und das war’s. Punkt.
Der Rest wird zu einer Lobeshymne. Mich hat dieser Kriminalfall sehr gut unterhalten. Ich habe immer gern weitergelesen und bekam auch von der Entwicklung der Figuren nicht genug. Di Bernardo und Del Pinio sind ein tolles Team, das sehr realistisch in einem authentischen Rom ermittelt. Hier bleiben keine Emotionen auf der Strecke, im Gegenteil: Als Leser muss man sich einigen menschlichen Abgründen stellen und auch ein bisschen weiterdenken. Die Themen, die eher nebensächlich angesprochen werden, sind gesellschaftlich relevant und tagesaktuell. Alles in allem: ein großartige Lektüre, die ich (trotz Kritik) mit fünf Sternen bewerte.