"Es gibt viele Möglichkeiten, Abhängigkeit zu intellektualisieren und zu ästhetisieren, meistens versucht man aber, damit einer unbequemen Wahrheit aus dem Weg zu gehen." Daniel Schreiber in seinem Buch Nüchtern (Zitat S. 52)
Alkohol, das Accessoire der Erwachsenen?
Ich persönlich finde es absurd, dass man sich manchmal noch immer in Gesellschaft (Familie, Freunde, Kollegen) rechtfertigen muss, wenn man keinen Alkohol trinkt. Die Blicke, die einfach nicht glauben können, dass man nicht mittrinkt.
Dies ist wieder eines der wenigen Bücher, die ich innerhalb weniger Stunden durchgelesen habe.
Dennoch stelle ich meinen größten Kritikpunkt direkt an den Anfang: Wir erfahren bis zum Ende nicht, wie genau die Autorin es geschafft hat, abstinent zu werden. Auch von Rückfällen oder Rückschlägen ist keine Spur. Da hätte ich mir ein wenig mehr Seele gewünscht. Dazu noch einen differenzierteren Blick auf die Komplexität des Themas.
Die Autorin zeigt uns ihre frische, persönliche Sichtweise auf die gesellschaftliche Lügengeschichte des Alkohols und schafft somit, dass die Leserschaft Bewusstsein entwickelt und dieses schärft. Dabei bricht sie den Stereotyp des typischen Alkoholikers auf und präsentiert uns, dass die Sucht mitten unter uns ist. Alcohol is a hell of a drug und es existiert ein riesengroßer Graubereich zwischen Genusstrinken und körperlicher Abhängigkeit.
Alkohol ist eine der schlimmsten Drogen und sollte nicht die gesellschaftliche Akzeptanz haben, die er hat. Denn der einzige Unterschied zwischen Alkohol und anderen Drogen ist, dass Alkohol legal ist.
Noch immer ist er ein blinder Fleck der Gesellschaft und wird weggelächelt, doch gleichzeitig wird hitzig über die Gefahren von Plastikflaschen und Feinstaub diskutiert.
Nathalie hat mit ihrem Buch einen Nerv getroffen und den Dialog über dieses heikle Thema salonfähig gemacht.
Ich sehe diese Lektüre als persönlichen Erfahrungsbericht. Es stellt ihre individuelle Sichtweise dar – mit Weichzeichner, denn ich vermisse ihren Weg raus aus der Sucht, den Alkoholroutinen, ihrem Kampf mit Abhängigkeit und Symptomen. Weiterhin werden sich viele Betroffene sicherlich nach Hilfestellungen, Tipps und Lösungsvorschlägen sehnen, die dieses Werk nicht bietet.
Dennoch ist "Ohne Alkohol" eine interessante Lektüre, die informativ und ehrlich geschrieben ist. Empfehlenswert!
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Und wie stehe ich persönlich dazu?
Irgendwann gingen mir die Fragen, ob ich ein Gläschen mittrinken möchte, so sehr auf die Nerven, dass ich beschloss, nicht mehr lieb und nett ja zu sagen – sondern konsequent nein. Ein Zeichen setzen. Für mich fühlt es sich bedeutungsvoller an, für immer nein zu sagen, als immer mal wieder ja zu sagen. Somit gehöre ich vermutlich zum "Sobriety-Movement", wie ich jetzt gelernt habe. Das "Sober Movement" aus den USA propagiert ein Leben ohne Alkohol. Nun kommt der Nüchternheits-Trend scheinbar auch hierzulande an. Die Message: völlige Abstinenz als eine Facette des gesunden Lifestyles.
⭐⭐⭐,7