Cover des Buches Nachruf auf den Mond (ISBN: 9783426281246)
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Rezension zu Nachruf auf den Mond von Nathan Filer

"Ich bin ich, seit ich denken kann, ich bin derjenige, vor dem es kein Entrinnen gibt.“

von buchstabentraeumerin vor 8 Jahren

Kurzmeinung: „Nachruf auf den Mond“ ist aufwühlend, intensiv, berührend und eindringlich. Faszinierend!

Rezension

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buchstabentraeumerinvor 8 Jahren
„Ich bin neunzehn Jahre alt, und das Einzige, worüber ich in meinem Leben frei bestimmen kann, ist diese Geschichte und wie ich sie erzähle.“ (Seite 95)

Zu Beginn lernen wir Matthew als kleinen Jungen kennen, der mit seiner Familie – seinen Eltern sowie seinem Bruder Simon – Urlaub in Frankreich macht. Diese Zeit wird Matthew’s Leben vollkommen verändern, sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Immer wieder kehren wir dorthin zurück und erleben einzelne Augenblicke, ohne jedoch einen Sinnzusammenhang zu sehen. Was geschah dort? Was ist seither mit Matthew los? Das erfährt der Leser erst am Schluss, einiges lässt sich aber schon vorher erahnen. Hierzu muss ich sagen, dass der englische Titel „The Shock of the Fall“ sehr viel besser zum Inhalt des Buches passt. Er erschließt sich einem erst auf den letzten Seiten, doch er ist der Inbegriff von einfach allem, was Matthew widerfahren ist.

Matthew selbst erzählt als junger Mann rückblickend von seinem Leben. Er ist in der geschlossenen Psychiatrie und bringt seine Geschichte zu Papier. Dabei ähnelt sie einem Flickenteppich, Erinnerungsfetzen verweben sich miteinander. „Nachruf auf den Mond“ liest sich wie ein Lückentext, nur dass man nicht weiß, was in die Lücken passen könnte. Das macht es recht mühsam, stellenweise war ich vollkommen orientierungslos.

Dennoch übte der Roman eine Faszination auf mich aus, der ich mich nicht entziehen konnte. Das lag vor allem an der dichten Atmosphäre, die Autor Nathan Filer schuf. Die Stimmung schwankte ständig – mal war sie medizinisch kalt, dann voll des staubtrockenen Humors, dann wieder geheimnisvoll und entrückt, wie man sich manchmal auf einer Reise in ein unbekanntes Land fühlen mag. Zwischenzeitlich fühlte sich alles falsch an und ich empfand Beklommenheit und Unbehagen. Das klingt zwar alles nicht besonders positiv, doch gerade das war das Spannende!

Schreibstil

„Ich schiebe meine Erinnerung durch die Wohnung wie ein Möbelstück oder ein gerahmtes Bild, für das ich keinen geeigneten Platz finde.“ (Seite 135)

Vor allem Dank des sehr gelungenen Schreibstils schafft es Nathan Filer, die Gedanken und Gefühle von Matthew nachvollziehbar und lebendig zu gestalten. Er findet die richtigen Worte für ihn als kleinen Jungen, aber auch für ihn als erwachsenen Mann, der psychisch krank ist. Durch seine Worte entstehen diese Kopf-Welten sehr eindrücklich und authentisch. Erinnerungen sind nicht klar, sie sind verworren und unvollständig. Filer erlaubt sich Lücken und wagt es, den Leser zu verwirren, damit seine Geschichte ganz nah an der Realität bleibt. Ich wurde selten so in eine mir völlig fremde Gedankenwelt hineingezogen.

Charaktere

„Meine Seele ist nicht gespalten. Ich habe nicht mehrere Persönlichkeiten. Ich bin ich, seit ich denken kann, ich bin derjenige, vor dem es kein Entrinnen gibt.“ (Seite 247)

Matthew steht als Protagonist und Ich-Erzähler natürlich im Mittelpunkt. Lange blieb er mir dennoch fremd. Seine Art zu erzählen, seine von Rissen durchzogenen Erinnerungen, das alles brachte ihn mir nur schwer näher. Das blieb für den Großteil des Romans auch so, zu verdeckt wurde er für mich von anderen Dingen. Mein Fokus wanderte also von ihm weg woanders hin – zu seiner Familie, zu seinem Bruder, zu seinen Beobachtungen und Erfahrungen. Ich versuchte zu verstehen wie es ist, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Erst viel später nahm ich Matthew als Person wirklich war. Ob ich ihn mochte? Schwer zu sagen – und auch irgendwie nicht wichtig.

Die Familie von Matthew ist schwierig. Ein Schicksalsschlag kann das aber wohl mit einer Familie machen. Seit dem Urlaub in Frankreich ist auch sie nicht mehr dieselbe. Doch Filer macht daraus kein Familiendrama, sondern räumt jedem Familienmitglied die Freiheit ein, so zu sein wie er oder sie sein möchte beziehungsweise sein kann. Und trotz aller Belastungen hält die Familie ganz unaufgeregt und selbstverständlich zusammen.

Fazit

„Nachruf auf den Mond“ ist aufwühlend, intensiv, berührend und eindringlich. Kein Buch für zwischendurch, sondern eines, über das es sich nachzudenken lohnt. Faszinierend!

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