Cover des Buches Miss Lonelyhearts (ISBN: 9783717522744)
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Rezension zu Miss Lonelyhearts von Nathanael West

Rezension zu "Miss Lonelyhearts" von Nathanael West

von thomas_gatzemeier vor 11 Jahren

Rezension

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thomas_gatzemeiervor 11 Jahren
Ein Stück unserer Zeit 1933 aufgeschrieben – Miss Lonelyheardts Sagenhafte, schiere, unbeschreibliche hunderttausend belletristische Neuveröffentlichungen wurden dem deutschen Publikum im letzten Jahr zugemutet. Und dann das. Einer schreibt mir eine Geschichte auf, die ich zu kennen glaube. Klar und unter Entsagung jeglicher intellektueller Sahnehäubchen. Kapitalistischer Realismus? Die Miss, deren Männername wir nicht erfahren, arbeitet als Redakteur einer Zeitung und beantwortet Lesebriefe von Damen mit Problemen. Es wir nicht beschrieben, aber ER, Miss Lonelyhearts, hat sich sein Leben anderes vorgestellt. Natürlich kommt es zu Begegnungen mit seinen Kundinnen. Einige der Lesebriefschreiberinnen erkennen, dass die Miss hormonell anders veranlagt ist. Die unvermeidlichen Verwicklungen bleiben nicht aus. Wer kann sich als Mann fremden Ehekrisen verschließen, wer kann, als Mann, Annäherungen auf Dauer widerstehen? Und das unter Einwirkung von Alkohol? Miss Lonelyhearts kann damit genauso wenig umgehen wie mit seinem Job und lässt sich treiben. Verzweifelt schier und sein Leben rutscht unaufhaltsam auf der Bahn hinab, die er niemals betreten wollte. Eine derjenigen, die er durch seine Kolumne zumindest trösten sollte, aber nicht wollte, reißt er mit. Oder sie ihn? Wenn der Verlag Manesse, dem die Ehre zuteilwird den Roman veröffentlicht zu haben, behauptet dieser durchaus ernste Roman sei eine Komödie so irrt er gewaltig. Für mich ist der Roman Realismus – eventuell Verismus. Darüber ließe sich streiten. Die Zeit war danach. Wie die unsere auch danach ist. Man denke an Otto Dix und George Grosz – an Neo Rauch?. Es sollte heute auch so klar geschrieben werden. Denn wer auch immer in die Schreibstuben, Formatentwicklerbuden und Projektentwicklerhöhlen sehen kann, schriebe Ähnliches auf - wenn ihm nichts Besseres einfiele. Denn die Themen sind so zahlreich wie die Menschen und ich und du und unser Sein. Dass die Entertainmentgruppe 47 einen Celan verabscheute (oder zumindest verdrängte), nehme ich ihr schon immer übel. Aber dass uns diese - schon immer alten Männer - mit ihren Verdrängungsmechanismen eine so verquaste Literaturauffassung hinterlassen haben, ist wirklich hart für die deutsche Literatur nach der Schoah. Wir ersaufen in der Langnesecrem der Verkopftheit. Nathanael West, ein Jude, der vermutlich deutsche Herkunft war, war für mich neben Oksana Sabuschko, die eine Ukrainerin ist, wohl die größte Entdeckung 2012. (Vorbehaltlich der nicht entdeckten Bücher)
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