Cover des Buches Sechzehn Wörter (ISBN: 9783442756797)
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Rezension zu Sechzehn Wörter von Nava Ebrahimi

Auf der Suche...

von parden vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Eine leise Erzählung, melancholisch und poetisch, aber auch anarchisch und voll abgründigem Humor. Über die Fremde und das Fremde in uns.

Rezension

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pardenvor 7 Jahren
AUF DER SUCHE...

Als ihre Großmutter stirbt, diese eigenwillige Frau, die stets einen unpassenden Witz auf den Lippen hatte, beschließt Mona, ein letztes Mal in den Iran zu fliegen. Gemeinsam mit ihrer Mutter wagt sie die Reise in die trügerische Heimat. Der Rückflug in ihr Kölner Leben zwischen Coworking und Clubszene ist schon gebucht. Doch dann überredet sie ihr iranischer Langzeitliebhaber Ramin zu einem Abschidstrip nach Bam, in jene Stadt, die fünf Jahre zuvor von einem Erdbeben komplett zerstört wurde. Und Monas Mutter schließt sich den beiden an. Die Fahrt wird für Mona zu einer Konfrontation mit ihrer eigenen Identität und ihrer Herkunft, über die so vieles im Ungewissen ist. Aber manchmal wird uns das Fremde zum heimlichen Vertrauten. Und über das, was uns vertraut schien, wissen wir so gut wie nichts...


"Erst war es nur ein Wort. Das Wort, flink und wendig, überfiel mich, wie alle diese sechzehn Wörter, aus dem Hinterhalt. (...) Regelmäßig war ich ihnen ausgeliefert, diesen Wörtern, die nichts mit meinem Leben zu tun hatten. (...) Nichts hatten sie mit meinem Leben zu tun, trotzdem, oder gerade deshalb brachten sie mich immer wieder in ihre Gewalt. Doch dann, einer Eingebung folgend, übersetzte ich ein Wort, und es war, als hätte ich es entwaffnet. (...) Mit einem Schlag verlor es die Macht über mich. (....) Wir waren nun beide frei, das Wort und ich." (S. 7 f.)


Die Iranerin Nava Ebrahimi hat sie genommen, diese sechzehn Wörter, und hat sie den Kapiteln ihres Buches vorangestellt, in arabischer Schrift und auf Persisch - und hat die Ich-Erzählerin Mona sich an diesen Wörtern entlanghangeln lassen auf ihrer Reise in den Iran, in die Vergangenheit, zu ihren Wurzeln, auf der Suche nach Antworten und sich selbst. Die 34jährige Mona erscheint als toughe Frau, die ihr Leben sicher nicht geradlinig führt, aber mit beiden Beinen fest darin zu stehen scheint. Doch tief im Innern schlummern Fragen, lauern Zweifel, bröckelt das Fundament. Dies ist Mona selbst gar nicht so deutlich - bis zu ihrer Reise in den Iran, zum Begräbnis ihrer Großmutter.


"Bevor ich eine Moschee betrete, spüre ich jedes Mal Widerwillen. Bin ich drin, möchte ich sie nicht mehr verlassen. Ich fühle mich dann, wie sich ein Baby auf einer riesigen Krabbeldecke fühlen muss. Gestillt, gepudert, gewickelt. Ich würde am liebsten ganze Tage und Nächte auf den Perserteppichen herumkugeln. (...) In den Nächten bräuchte ich weder Kissen noch Decke, ich schliefe wie ein Neugebornes, das an der Brust der Mutter eingenickt ist und dessen Träume von warmer Milch beim ersten Augenaufschlag wahr würden." (S. 73)


Der Leser reist mit Mona in den Iran, widerwillig eher, pflichtergeben, weil nun einmal die Großmutter verstorben ist. Maman-Bozorg starb in hohem Alter recht unspektakulär im Sessel vor ihrem Fernseher, der zuletzt ihr ein und alles war. Diese Großmutter ist in dem Roman überaus präsent und hat mich des öfteren den Kopf schütteln lassen, mich aber auch wirklich amüsieren können. Immer ein loses und oft ordinäres Mundwerk('Kämm dir mal die Haare. Du siehst aus wie ein verprügelte Nutte.'), lebte Maman-Bozorg von Klatsch und Tratsch, äußerte stets unverblümt ihre Meinung, nahm sich, was sie wollte und hatte ein heimliches Faible für nette Männer. Ihr Lieblingswort war 'Kos', was allen anderen die Schamesröte ins Gesicht trieb, doch nein, ich werde jetzt nicht übersetzen, um was für ein Schimpfwort es sich hierbei handelt.

Die Großmutter gehörte irgendwie immer zu Monas Leben dazu, auch wenn sie sich oft nur einmal im Jahr sahen - meist kam Maman-Bozorg nach Köln, zu Mona und ihrer alleinerziehenden Mutter, reiste stets mit großem Übergepäck, Ezafebar. Mona selbst wurde im Iran geboren, lebt aber bereits seit frühester Kindheit in Deutschland - zwischen den Kulturen, wie ihr nun deutlich bewusst wird. Immer das Gefühl, irgendwie nicht dazu zu gehören: im Iran ist sie die Deutsche, in Deutschland ist sie die Iranerin. Wie ist es möglich, sich so irgendwo zu Hause zu fühlen? Doch Mona begibt sich auf ihrer Reise im Iran nicht nur auf die Suche nach sich selbst - auch ein langgehütetes Familiengeheimnis drängt hier zunehmend an die Oberfläche.


"Glück? Nach drei Bier auf einer Tanzfläche, über mir viel Raum, durch mich hindurch ein Bass, der alles in Schwingung versetzt, um mich herum Menschen, deren Gesichter mir bekannt vorkommen, die ich manchmal zufällig streife, die genau wie ich darauf warten, dass der DJ sein Versprechen einlöst, dass er aufhört, sich und uns zu zügeln, und dann ist es endlich so weit, der Damm bricht, und uns erfasst eine riesige Welle. (...) und ich denke auch daran, dass, nachdem uns alle dieselbe Welle erfasst hat, jeder woanders angespült wird und jeder von vorne beginnt." (S. 186 f.)


Ein Schreibstil, der eher nüchtern daherkommt, wechselnd zwischen leise-poetisch und derb-zotig, dabei nichts davon überstrapazierend. Wie auf einer Welle treibt Nava Abrahimi den Leser durch das Land, das einem bei aller Fremdheit und Befremdlichkeit plötzlich nahe kommt, wodurch aber auch deutlich wird, wie groß der Spagat der in Deutschland lebenden Mona sein muss, um sich zwischen den Kulturen nicht zu verlieren. Subtil dabei das Kreisen um das ominöse Familiengeheimnis, das letztlich nicht nur für Mona in einer gewaltigen Überraschung gipfelt.

Eine leise Erzählung, melancholisch und poetisch, aber auch anarchisch und voll abgründigem Humor. Über die Fremde und das Fremde in uns. Für mich eine ganz besondere Entdeckung...


© Parden
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