Cover des Buches Sozusagen Paris (ISBN: 9783446252769)
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Rezension zu Sozusagen Paris von Navid Kermani

Wangen wie Aprikosen

von Aliknecht vor 7 Jahren

Kurzmeinung: In einer langen Nacht wird in einer Kleinstadt und eben nicht in Paris nach 30 Jahren die Liebe und die Ehe ausführlich besprochen.

Rezension

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Aliknechtvor 7 Jahren
In einer langen Nacht wird die Liebe und die Ehe eingehend besprochen. Man befindet sich In einer Kleinstadt und eben nicht in Paris. Weltliterarische Autoritäten reden mit.
Klappentext: Ein junges Mädchen wie damals ist sie natürlich nicht mehr, aber der Erzähler ist ja auch nicht mehr der leidenschaftliche, etwas naive junge Mann, der so unsterblich in sie verliebt war. Er ist jetzt Autor, und sie ist seine Romanfigur geworden - und ganz offensichtlich eine interessante, attraktive und verheiratete Frau. Was wird aus einer goßen Liebe zwischen jungen Leuten, wenn man sich dreißig Jahre später wiedertrifft? Und was wird überhaupt aus der Liebe in unserer Welt, die sich wohl schneller verändert als die Menschen, die in ihr leben. David Kermani schreibt einen Liebesroman ganz eigener , tiefgründig, überraschend, witzig. Er erzählt von Menschen, die alles über sich zu wissen glauben, und plötzlich ahnen, dass sie sich noch gar nicht kennen. Ist die Sehnsucht, die unauslöschliche, ein Elixir, oder ist sie ein Gift?

Inhalt: Ein Autor begegnet bei einer Lesung einer alten Liebe von vor 30 Jahren. Jutta ist nun Bürgermeisterin einer Kleinstadt, Tantra-Lehrerin, Ehefrau und Mutter. Man unternimmt einen nächtlichen Spaziergang durch "ihr" Städtchen. Mit "Wangen wieder wie Aprikosen" schlägt sie vor, noch ein Glas Wein bei ihr zu trinken. "Soll ich die Schuhe ausziehen? Ja bitte." Sie wirft mit einer tänzerischen Bewegung die Stöckel von sich. Während in der oberen Etage der Villa die Kinder schlafen und der Ehemann am Computer arbeitet, sitzt man gemeinsam eine lange Nacht im Wohnzimmer und Jutta breitet die Geschichte ihrer Ehe aus. Vom "unerwartet großen" Bücherregal herab reden Stendhal, Proust, Balzac, Flaubert, Zola, Adorno und sogar Milan Kundera ausführlich mit. Nach Jahren erfüllender wohltätiger Aktivitäten in Ecuador und Bolivien kehrte man zurück ins kühle Deutschland. Nun sind die Kinder bald groß. Die Sexualität des Ehepaares sei stabil. Es geht ins Haushaltspraktische, wie ihr Mann die nagelneue Spülmaschine mit horizontaler Ablage für das Besteck einräumt und mindestens ein Viertel mehr an Geschirr hineinbekommt als sie. Neben ihrem Sessel kniend streicht der Autor ihr unschlüssig über den Kopf, den sie auf seine Schultern gelegt hat. Schließlich schläft er auf der Gästetoilette ein und träumt noch ein wenig bevor er geht.

Sprache und Stil: Kermani schreibt im Präsens. Seine Sprache ist klar und lebendig und er beherrscht die Schilderung aufschlussreicher Details und feiner Stimmungen. Er schreibt selbstbezüglich und befindet ich im kontinuierlichen Dialog mit dem Leser und - relativ ungewöhnlich - auch mit seinem Lektor. Dieser kritisiert Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten in der Geschichte und seufzt, dass der Autor ja doch tue, was er wolle. Im Verlauf des Geschehens erfährt der Leser, wie die Idee zum vorliegenden Roman entstand, und Jutta hat sogar das Manuskript bereits gelesen. Die Beschreibung des tänzerischen Abwurf eines Schuhs hält der Autor für so gelungen oder wesentlich, dass er sie wiederholt. Schliesslich zeigt der Autor auch eine selbstkritische Seite mit seiner Anmerkung "Ich fürchte dem Leser kommen die ständigen Bezüge zur Literatur eher bemüht vor".

Fazit: Ein Buch für Intellektuelle, die den Abgleich weltliterarischer Erkenntnis mit kontemporärer Alltagserfahrung lieben. Höher gespannte erotische Erwartungen werden enttäuscht. Man ist nur einer Kleinstadt und eben nicht in Paris. Am Beispiel eines linksliberalen Milieus schreitet die Zeit über Gefühle und alternative Lebensentwürfe hinweg. Man muss diesen Roman nicht unbedingt gelesen haben. Aber er enthält einen Hinweis auf ein ausgezeichnetes Lied von Neil Young.

Autor: Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen, lebt in Köln. Er ist ein deutsch-iranischer Schriftsteller, Publizist und habilitierter Orientalist. Für sein literarisches und essayistisches Werk erhielt er unter anderem 2015 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.

Ausgabe: Navid Kermani: Sozusagen Paris
Carl Hanser Verlag, München, 2016, Erstausgabe

Interesse geweckt durch: Interview Navid Kermani durch Denis Scheck in der ARD-Sendung "Druckfrisch" am 25.9.2016
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