Rezension zu "Die Farbe von Milch" von Nell Leyshon
Marys Haar hat die Farbe von Milch. Zusammen mit ihren Schwestern und ihrer Mutter wächst sie unter der patriarchalen Herrschaft ihres Vaters auf einem Bauernhof heran. Hier wird sie zu harter Arbeit auf dem Feld geknechtet, führt ein entbehrungsreiches Leben, wo Gewalt an der Tagesordnung steht. Bald jedoch wird sie von ihrem Vater gegen Geld als Dienstmädchen an den Pfarrer des Dorfes verkauft, wo sie sich zusammen mit einer weiteren Hausangestellten um Haushalt und die todkranke Frau des Pfarrers kümmern muss. Und doch wird sie hier erstmals in ihrem Leben gut behandelt, der Pfarrer bringt ihr nebenbei das Lesen und Schreiben bei, sie bekommt warmes Essen und ein Bett für sich allein. Als die Frau des Pfarrers stirbt und der Pfarrer aus Geldsorgen seiner anderen Angestellte kündigen muss, bleibt Mary allein mit ihm in dem Haus zurück. Gewalt schleicht sich wieder in ihr Leben ein, und der Pfarrer fordert auf eine ganz bestimmte Art Honorierungen für seine Anstrengungen, Mary das Lesen zu lehren.
Das Buch ist in einer patriarchalen Welt angesiedelt, in der Väter ihre Kinder aufgrund von Geldsorgen anderen Familien zur Verfügung stellen. Mary schafft es nicht, sich diesen Verhältnissen zu entziehen und wird von einem Patriarchat ins Nächste gesteckt. Das Buch ist tatsächlich keine so leichte Kost, wie der Titel vermuten lässt, es ist gewaltsam, erschreckend und traurig. Mary ist eine zynische, starke Frau, muss sich aber dem System unterordnen und tun was man ihr sagt. Auch wenn sie rebellisch sein will, dem Pfarrer sogar seine Sünden vorhält, schafft sie es nicht, aus diesem System auszubrechen. Im Buch handeln alle Männer von oben herab. Marys Mutter kneift vor ihrem Mann, doch sie zeigt zugleich einen Hauch von Verständnis für ihre Töchter. Wenngleich sie sich auch nicht gegen ihren Mann ausspricht, von wegen: 'ihr wisst doch, wie euer Vater ist, tut lieber was er euch sagt, sonst knallts'. Mary denkt, im Pfarrhaus wird es ihr besser gehen, doch leider merkt sie auch hier schon bald, dass im Leben nichts geschenkt ist.
Das Buch spielt im 19. Jahrhundert, und klar kann man sagen, das war halt damals alles so, aber dennoch stehen Gewalt und Zorn an der Tagesordnung und es ist keine leichte Kost für zwischendurch, die man einfach mal so zum Vergnügen lesen sollte.
Der Schreibstil des Buches ist Marys Charakter angepasst, einem Bauernmädchen, das gerade gelernt hat sich schriftlich auf Papier auszudrücken. In Retrospektive erzählt sie ihre Geschichte, von ihren Erlebnissen bei ihrer Familie auf dem Bauernhof und bei der Pfarrersfamilie. Eine große Ausdrucksweise kann man hier also nicht erwarten, aber es ist mal was anderes und passt wirklich ausgezeichnet zu ihrer Geschichte und trägt enorm dazu bei, sich in Mary hineinversetzen zu können. Und gerade weil die Geschichte sehr nah an Marys Erlebnissen aufgebaut ist und nicht durch die Blume erzählt wird, möchte ich eine Triggerwarnung für häusliche Gewalt und Missbrauch aussprechen. Es ist alles in allem aber eine schöne Geschichte, wenngleich auch sehr erschreckend.