Cover des Buches Die Farbe von Milch (ISBN: 9783961610006)
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Rezension zu Die Farbe von Milch von Nell Leyshon

Schlicht - klar - direkt!

von monerl vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Schlicht, klar, direkt und unsäglich traurig!

Rezension

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monerlvor 6 Jahren
Mary kennt es nicht anders. Das Leben ist hart und man hat zu gehorchen. Gehorcht man nicht, wird man dafür bestraft. Der Vater fordert absolute Gehorsamkeit. Da er anstatt Söhnen, die tatkräftig auf dem Feld hätten helfen können nur vier Töchter hatte, mussten diese die Lücke an Arbeitskraft schließen. Marys Leben ist zudem ganz einfach strukturiert. Es wird aufgestanden, wenn der Tag anbricht, es gibt ein karges Essen aus Käse und Brot, wenn der Magen knurrt ist Essenszeit und wenn es Nacht wird geht man schlafen. Dazwischen werden die Tiere versorgt und es wird auf dem Feld gearabeitet. Mary erfährt wenig Liebe, wenig Aufmerksamkeit, hat aber auch keine Langeweile. Und dennoch ist Mary etwas anders als andere. Sie hat eine schnelle Auffassungsgabe und Direktheit, die Fluch und Segen zugleich sind.
"Du bist sehr scharfsinnig, nicht wahr? sagte er. Intelligent kann ich dich nicht nennen, denn du hast überhaupt keine Bildung genossen, aber du bringst etwas mit.
Und was soll das sein?
Ich denke eine gewissen angeborene Schläue oder Geist.
Ist das etwas anderes als ein gebildetes Hirn?
Ja, wahrscheinlich schon. Es ist ungeformt, Mehr wie bei einem Tier, primitiv." (eBook ab 64%)
Aber Mary hat ein körperliches Problem. Ein Bein ist verdreht und deshalb ist sie nicht so schnell wie die anderen. Das war wohl auch der Grund, dass ihr Vater sie als bezahlte Hilfskraft an den Dorfpfarrer abgegeben hat, damit Mary diesen bei der Pflege seiner kranken Frau unterstützt. Und fortan fängt Marys neues Leben an.

Wir lesen Marys Autobiografie, die an die Form von Tagebucheinträgen erinnert. Sie schreibt über das letzte Jahr, von Frühling zu Frühling, was sich in ihrem Leben geändert hat und was ihr widerfahren ist. Da wir wissen, dass Mary nie die Schule besucht und somit nie lesen und schreiben gelernt hat, ist umso erstaunlicher, dass sie selbst ihre Geschichte aufschreibt.
"Dies ist mein Buch und ich schreibe es eigenhändig. Es ist das Jahr des Herrn achtzehnhunderteinunddreißig und ich bin fünfzehn geworden und sitze an meinem Fenster und kann viele Dinge sehen. [...]
Ich bin nicht sehr groß und mein Haar hat die Farbe von Milch.
Mein Name ist Mary und ich habe gelernt, ihn zu buchstabieren. M.A.R.Y. So schreibt man die Buchstaben." (eBook 1%)
In Marys Art zu erzählen und zu schreiben erkennt man ihr Wesen wieder: schlicht, klar, direkt! Und sie erzählt ihre traurige Geschichte aus einer Zeit, in der Mädchen und junge Frauen den patriarchalischen Strukturen absolut ausgeliefert waren. Der Klappentext lässt bereits einiges vermuten und der Schluss offenbart das Schlimmste und dennoch war ich auf ihn so nicht ganz vorbereitet. Ich ließ mich kurz vorher von der Autorin in die Irre leiten, da meine Hoffnung auf Liebe und die Sicherheit, die eine Familie bieten sollte, noch nicht gestorben war.

Mit Mary hat Nell Leyshon eine wunderbare Protagonistin geschaffen. Sie ist greifbar, vorlaut und in ihrer Art sehr erheiternd. Nicht umsonst ist sie die Lieblingsenkelin des Großvaters. Eine tolle und authentische Figur, die ich sehr gerne begleitet habe. Währendessen bleiben die anderen Charaktere eher etwas blass. Gerne hätte ich noch etwas mehr erfahren über ... ich weiß nicht so genau, über was oder wen. Doch nach dem Lesen hat mir ein kleines Bisschen gefehlt, damit dieses grandiose Buch ein Herzensbuch hätte werden können.

Fazit:
Mit "Die Farbe von Milch" wartet Nell Leyshon mit einem kurzweiligen aber intensivem Buch auf, das zwar keine neue Thematik behandelt, diese aber auf eine ganz spezielle Art im Buch dargestellt, die mir großartig gefallen hat. Ein Buch, das leise daherkommt und mit einem Knall abschließt. Ein Buch, das daran erinnert, dass diese Zeiten bei uns zwar vorbei sind, es aber immer noch Regionen und Länder gibt, in denen solche Zeilen tagtäglich in viele Tagebücher geschrieben werden.
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