Cover des Buches Die Herzen der Männer (ISBN: 9783608983135)
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Rezension zu Die Herzen der Männer von Nickolas Butler

Wann ist ein Mann ein Mann?

von Aspasia vor 6 Jahren

Rezension

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Aspasiavor 6 Jahren
Diese Frage stellte 1984 der dt. Schauspieler und Sänger Herbert Grönemeyer, der mit seinem Song Männer (und vielleicht auch seinem ungewöhnlichem Tanzbärstil) zu Ruhm und Ehre kam.

Männer von Herbert Grönemeyer, 1984

Männer nehmen in den Arm
Männer geben Geborgenheit
Männer weinen heimlich
Männer brauchen viel Zärtlichkeit
Oh Männer sind so verletzlich
Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich
Männer kaufen Frauen
Männer stehen ständig unter Strom
Männer baggern wie blöde
Männer lügen am Telefon
Männer sind allzeit bereit
Männer bestechen durch ihr Geld und ihre Lässigkeit
Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht
Außen hart und innen ganz weich
Und werden als Kind schon auf Mann geeicht
(Wann ist ein Mann ein Mann?)
(Wann ist ein Mann ein Mann?)
(Wann ist ein Mann ein Mann?)
Männer haben Muskeln
Männer sind furchtbar stark
Männer können alles
Männer kriegen ’n Herzinfarkt
Oh Männer sind einsame Streiter
Müssen durch jede Wand, müssen immer weiter
Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht
Außen hart und innen ganz weich
Werden als Kind schon auf Mann geeicht
(Wann ist ein Mann ein Mann?)
(Wann ist ein Mann ein Mann?)
(Wann ist ein Mann ein Mann?)

Nun stellt sie sinngemäß auch Nickolas Butler, erfolgreicher amerikanischer Autor, in seinem soeben auf deutsch erschienen Roman Die Herzen der Männer.

So wie Grönemeyer „Männer schon als Kind auf Mann geeicht“ sieht, beginnt auch Butlers Roman 1962 mit der Erziehung seines Protagonisten Nelson Doughty zum Mann. Dieser verbringt seit seinem siebten Lebensjahr seine Sommerferien in einem der in den zahlreichen Pfadfindercamps, der schon 1910 gegründeten Boy Scouts of America (BSA) in Wisconsin, in dem schon seit Generationen in der wilden Natur aus tapferen, kleinen, amerikanischen Jungs wahre Männer gemacht werden. Dass es dabei nicht unbedingt zimperlich zugeht, wenn so viel Testosteron versammelt ist, kann sogar ich mir als Mädchen vorstellen. Allen voran, weil diese oft als Neckereien und Kabbeleien verharmlosten Auswüchse von „wir gegen den Anderen“, nicht nur den brodelnden Hormonen, sondern auch der militärisch, straff organisierten Hierarchie der Institution, die in der höchsten Rangstufe, den Eagle Scouts, die auch berufliche Vorteile bringen, ihre Vervollkommnung sieht, geschuldet ist.

In Butlers Geschichte trifft die erniedrigende Behandlung eines Latrinenbades den engagierten, gefallwütigen Nelson, der mit Leib und Seele Pfadfinder ist, und sich nichts mehr wünscht als hier dazuzugehören, wenn ihm dies schon zu Hause nicht gelingt. Er, der fleißig Abzeichen sammelt, die verantwortungsvolle Aufgabe des Lagertrompeters inne hat, und der den Schwur „On my honor, I will do my best to do my duty to God and my country. To help other people at all times. To obey the Scout Law.“ bestimmt im Schlaf hinunter beten kann, liegt doch nachts alleine in seinem Zelt.

Doch sein Ehrgeiz alles richtig machen zu wollen, seinen Vater stolz, und der von den Campbetreuern als nachahmenswertes Beispiel dargestellt wird, entfernt ihn nur immer weiter von seinen Kameraden. Die Jungs reagieren darauf mit dem, was wir heute“Bullying“ nennen. Das Ganze kulminiert in Gewaltexzessen, die wahrhaftig Ähnlichkeit mit den sadistischen Sequenzen aus Lord of the flies haben. Ein Kultbuch, sogar Pflichtlektüre an amerikanischen Schulen, das der Autor nach eigener Aussage aber erst in späteren Jahren gelesen hat, und das eine starke und nachhaltige Wirkung auf ihn hatte.

Butler zeigt viel Mitgefühl für seinen jungen, aber auch, wie sich in den nächsten drei Abschnitten zeigen wird, für seinen erwachsenen Helden. Genau das ist Nelson für ihn, ein Held. Der Antagonist des kindlichen Helden, eine Art frenemy Nelsons, ist Jonathan, auch er ein Pfadfinder und Elitesoldat im Vietnamkrieg. An ihn und Teile seiner Familie wird der Erzählstab weiter gereicht, denn Butler hat seinen Roman ein bisschen wie einen Staffellauf konstruiert, der erst nach langer Strecke 2019 ins Ziel getragen wird.

Bis dahin werden uns in Die Herzen der Männer aus aus wechselnden Perspektiven intime, manchmal geradezu schmerzvoll intime, Einblicke in die persönlichen Lebensgeschichten gewährt, auf der Suche nach dem, was das Mannsein ausmacht. Als da wären körperliche Stärke, pure Muskelkraft und physische Überlegenheit, Güte und Anstand, Boshaftigkeit, aber auch innere Stärke, Ehre, Respekt vor Anderen, Heldentum, ja sogar Ritterlichkeit, die einst der amerikanische Präsident Theodor Roosevelt den Pfadfindern zuschrieb.

Genau darum geht es Butler; zu ergründen welcher moralische Kompass das starke Geschlecht Amerikas leitet, gestern bis heute.
Wie trifft der Einzelne seine Entscheidungen? Wie geht er mit Rückschlägen um? Denn zeigt sich nicht gerade in der Krise unser Charakter am deutlichsten? Nelson, dessen Kindheit sicherlich heute das Jugendamt auf den Plan riefe, seine traumatischen Kriegserfahrungen in Vietnam, die er ohne psychologische Unterstützung meistern musste, statt Karriere, der Rückzug ins Camp in Wisconsin, nun als Leiter, wo er trotz alledem, seinem einst getätigten Schwur treu bleibt.

Aber auch die Veränderung im Großen, die Veränderungen des gesellschaftlichen Wertesystems, in der Pre-Trump-Ära, am Beispiel einer in Amerika bis in die Politik und Wirtschaft hineinreichende Institution, die Organisation wird von verschiedenen, großen Unternehmen finanziert, aufzeigen. Wo sind sie hin die Tugenden der wolves & bears & lions?

So spannend diese moralischen Fragen sind, so sehr sie die Geschichte und den Leser vorantreiben, so sehr konterkariert Butler sein Anliegen selbst, indem er es nicht wie einst Grönemeyer bei den Fragen belässt, sondern wehmütig ein Männerbild, den Ritter, ohne Fehl und Tadel, heraufbeschwört, den es so tautropfenrein schon an Artus Tafelrunde nicht gab.

Trotz oder vielleicht sogar wegen dieser offensichtlichen Parteilichkeit hat mir der Roman gefallen, weil er zu verstehen hilft, wie aus diesen niedlichen, kleinen, amerikanischen Jungs in Uniformen, die ganz unschuldig an Haustüren Kekse verkaufen, Männer wurden, die so felsenfest davon überzeugt sind, zu wissen, was Recht und Unrecht ist, dass sie mit missionarischen Eifer, die Welt bekehren wollen.
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