Harper Lee, untrennbar verbunden mit Wer die Nachtigall stört, jenem Meisterwerk, das ich nie auf Deutsch, sondern stets im Original gelesen habe, ist zurück. Oder besser gesagt: Ihre Worte sind es. Diese Sammlung von Geschichten und Essays wurde erst nach ihrem Tod entdeckt und liegt nun erstmals in deutscher Übersetzung vor.
Es war ein merkwürdig vertrautes Gefühl, nach all den Jahren wieder in ihren Stil einzutauchen und zugleich befremdlich, ihn in deutscher Sprache zu lesen. Doch schon nach wenigen Seiten stellte sich dieses Gefühl des Wiedererkennens ein, wie ein leises Nachhausekommen. Ein literarisches Erlebnis allererster Güte.
Diese Texte führen mir erneut vor Augen, weshalb Harper Lees Sprache so einzigartig ist: weil sie mit einer stillen, aber unerschütterlichen Klarheit das Menschliche erfasst: das Zarte, das Widersprüchliche, das Schöne und das Unbequeme zugleich. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich wieder ganz auf ihren Rhythmus einlassen konnte; manche Passagen habe ich mehrfach gelesen, um ihre Tiefe wirklich zu erfassen. Doch am Ende war es genau das, was ich mir erhofft hatte: eine Reise durch Themen, die heute aktueller wirken denn je, und ein Zeugnis ihres unvergleichlichen Talents.
Es ist etwas Besonderes, in ihre Welt einzutauchen, in eine Sprache, die sich abhebt von vielem, was man sonst liest, und die einen unmerklich in ihren Bann zieht. Dieser Band war für mich ein Ausflug in eine andere Sphäre der Literatur, eine, die ich nicht oft betrete, von der ich aber weiß, dass ich sie immer wieder gerne aufsuche.
Nicole Seifert
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
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Harper Lees Literaturklassiker „Wer die Nachtigall stört“ gehört zu meinen absoluten Alltime-Favorites und ist meiner Meinung nach ein Buch, das jede und jeder gelesen haben sollte. Lees erster Roman, der allerdings erst 2015 veröffentlicht wurde, konnte mich hingegen nicht so überzeugen. Umso gespannter war ich auf „Das Land der süßen Ewigkeit“ – eine Kurzgeschichtensammlung mit Erzählungen aus Harper Lees Nachlass, ins Deutsche übersetzt von Nicole Seifert. Und so viel sei vorab gesagt: Ich hatte vor dem Lesen nicht erwartet, mit literarisch derart interessanten und dabei vielschichtigen Erzählungen konfrontiert zu werden.
Ein Teil der Kurzgeschichten ist in Lees Heimat Alabama angesiedelt, ein anderer Teil wiederum in ihrer Wahlheimat New York City – das sind, wie sich dem sehr guten Nachwort von Casey Cep entnehmen lässt, nicht die einzigen Anhaltspunkte dafür, dass die Geschichten autobiographisch gefärbt sind. Besonders die Erzählungen, die in Alabama spielen, haben mich wahnsinnig fasziniert, weil sie einen authentischen und dabei intensiven Einblick in das Aufwachsen und Leben im ländlichen Teil der USA in den 1930er und 1940er Jahren geben.
In ihren Kurzgeschichten, die allesamt vor „Wer die Nachtigall stört“ entstanden sind, beweist Harper Lee bereits ihren literarischen Scharfsinn, blickt sie doch unter anderem auf das Leben junger Mädchen in Alabama, auf die Rassentrennung und auf den Stellenwert von Religion. Aber auch die Geschichten, die aus einer erwachsenen Perspektive geschrieben sind, sind wahnsinnig faszinierend – vor allem deshalb, weil Lee sich darin u. a. mit eigenen Werten auseinandersetzt, durchaus selbstreflektiert und kritisch. Insgesamt lesen sich die Erzählungen wie eine Vorstudie zu Lees hochgradig gesellschaftskritischem Roman „Wer die Nachtigall stört“. Und dass sie das, zum Teil, wohl auch sind, liegt auch deshalb nahe, weil eine Figur in verschiedenen Erzählungen immer wieder auftaucht: Jean Louise, die wir aus „Wer die Nachtigall stört“ sehr gut kennen.
„Das Land der süßen Ewigkeit“ ist deshalb für mich ein unerwarteter literarischer Schatz, der von Harper Lees ersten Schreibversuchen zeugt und dabei bereits ein schriftstellerisches Können offenbart, das sie von so vielen ihrer Zeitgenoss*innen unterscheidet. Ich komme nach der Lektüre nicht umhin, zu bedauern, dass Harper Lee nicht mehr geschrieben bzw. veröffentlicht hat. Aber wer weiß – vielleicht schlummert in ihrem Nachlass ja doch noch so manch großartiger Text, der nur auf seine Entdeckung wartet. Ich würde es mir sehr wünschen!
Bei Rowohlt Kindler erscheint der Briefroman Dienstmädchen für ein Jahr von Sigrid Boo in einer Übersetzung von Gabriele Haefs. Das Buch wurde bereits 1930 geschrieben und ist der 10. Band der Reihe "Rororo-Entdeckungen", in der die Herausgeberinnen Magda Birkmann und Nicole Seifert ältere Literatur vor dem Vergessen wieder neu sichtbar machen.
Norwegen, 1930: Die lebenslustige Helga ist Tochter aus gutem Hause und hat gerade ihr Abitur absolviert, nun hofft sie auf eine interessante Bildungsreise nach Paris. Doch die findet laut ihrem Vater aus finanziellen Gründen nicht statt. Voller Lebensfreude trifft sie Freunde in einem Café und diskutiert darüber, ob Frauen wirklich anpacken können und lässt sich übermütig auf eine Wette ein, in der sie zusagt, sich ein Jahr lang als Dienstmädchen zu verdingen. Nun beginnt eine arbeits- und lehrreiche, aber auch wunderschöne Zeit, in der Helag erwachsen wird und Erfahrungen mit anderen Menschen macht, Freunde gewinnt und die Liebe erlebt.
Was für eine wunderbare Wiederentdeckung der norwegischen Autorin, von der ich bisher noch nie etwas gehört habe!
In Form eines Briefromans erfahren wir im selben Maße wie Adressatin Freundin Grete, wie es Hanna nach dem Antritt ihrer Wette ergeht. Obwohl sie bisher selber nur bedient wurde, erledigt sie jetzt als Dienstmädchen die Wäsche, mangelt, putzt, erledigt Küchenarbeiten und bedient bei Tisch. Hanna ist nicht zimperlich, sehr tatkräftig und packt ordentlich mit an und hält ihre täglichen Erlebnisse und Gedanken in Briefen fest. Dabei lässt sie uns auf so lockere, ehrliche und herrlich erfrischende Weise an ihren Erfahrungen und Gefühlen teilhaben, dass es eine wahre Freude ist.
Inkognito betritt Helga mit ihrer Arbeit echtes Neuland und erlebt mal das andere Ende ihres gewohnten priviligierten Lebens als verwöhnte Tochter aus gutem Hause. Sie macht unterschiedliche Erfahrungen in der bürgerlichen Gesellschaft dieser Zeit, muss so manches von den Herrschaften ertragen, passt sich an, lässt sich aber auch nicht alles gefallen und sagt schlagfertig auch schon mal ihre Meinung, wo es nötig ist. Das arbeitssame Leben bekommt ihr gut, sie findet Freunde und hat auch romantische Gefühle, die sie vielleicht in den Hafen der Ehe führen könnten.
Sigrig Boo zeigt mit wunderbarer Leichtigkeit die sozialen Hierarchien und Widersprüche dieser Zeit auf, in der dienstbare Geister die harte Arbeit erledigten und gutbetuchte Ehefrauen für die Anweisung dieser Dienstboten zuständig waren. Während Helga sich einer arbeitssamen Helding gleich um ihre neuen Mitmenschen kümmert, wird sie von ihrer inneren Stärke getragen und genießt die Schönheit der Jahreszeiten und der Natur und kommt ihren "Herrschaften" auf liebenswerte Weise näher. Sie ist eine wahre Perle, die schnell erkennt, woran es in den verschiedenen Haushalten hakt, genießt die Anwesenheit bei der Gutsbesitzer-Familie Bech und wird erwachsen.
Wunderbar leicht zu lesender Briefroman, sehr humorvoll und dennoch scharfsinnig erlebt man eine charmante Vorläuferin der Emanzipation in Norwegen. Sehr unterhaltsam und ein echt schönes Lesevergnügen!
Gespräche aus der Community
Shirley Jackson und ihr turbulentes Familienleben
Lest den Bestseller ”Krawall und Kekse” aus dem Jahr 1953 in einer gemeinsamen Leserunde und genießt das zeitlose Lesevergnügen, welches die damaligen und gegenwärtigen Rollenverhältnisse aufs Korn nimmt. Wir vergeben für diese Leserunde 15 Rezensionsexemplare in Print und freuen uns auf Eure Bewerbungen.
Auch wenn ich wenig in der Leserunde beigetragen habe, ich hatte einiges persönliches in letzter Zeit, danke ich dafür, dieses Werk lesen gedurft zu haben. Hier meine Rezension:
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