Cover des Buches Irminar - Die Seelenleserin (ISBN: B00HNX6K7E)
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Rezension zu Irminar - Die Seelenleserin von Nika Bechtel

Begegnungen, die die Seele berühren, hinterlassen Spuren, die nie ganz verwehen.

von alice14072013 vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Tiefgründige und wortgewaltige Geschichte, die langsam ihren gefühlsmäßigen Wert und Sog entfaltet und mit Macht am Ende einschlägt

Rezension

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alice14072013vor 8 Jahren

„ Du hast Märchen immer geliebt. Hast deren Zauber und Tiefsinn geehrt. Dein Wunsch genauso besonders wie normal leben zu dürfen, kann hier in Erfüllung gehen. Ein Herzenswunsch. Lass es zu. In deinem Herzen wohnt der Liebe Mut, in deiner Seele der Liebe Macht und in deinem Körper der Liebe Glück. Ein neues Märchen wird geschrieben werden müssen, wenn du bleibst.“S.48


Was tust du, wenn aus einem zweifelhaften Spiel, dessen Teil du nie sein wolltest, plötzlich Ernst wird, eine Zukunft dich erwartet, die du dir nie erträumt hättest? Wenn das Märchen, an das du nie glauben wolltest für dich zur Realität wird, nimmst du dein Schicksal an? Jedes Märchen hat bekanntlich seine guten und schlechten Seiten, vereint Licht und Schatten. Hast du die Kraft und innere Stärke, dich für den richtigen Weg zu entscheiden, was auch immer er für dich bereithält?


Inhalt:


Mike von Irminar ist reich und seine hochentwickelte Genetik macht ihn überaus wertvoll - auch deshalb wähnt er sich im Recht, als er zu einem moralisch fragwürdigen Spiel einlädt. Mali Schmidt, deren persönliche Umstände sie in seine Fänge treiben, sieht die Dinge anders. Beide werden eines Besseren belehrt und Mike dringt zu ihrer Seele vor - direkt in die Gefühlswelt einer Frau - was ein Erlebnis der besonderen Art ist. Beide wissen, dass sie füreinander geschaffen wurden, aber es sollte nie zu dieser schicksalshaften Begegnung kommen.
Das Schattenvolk sucht bereits nach ihr, Mikes Familie warnt vor dem Ausbruch eines Krieges und das junge Paar flieht. Sie stolpern über alte und neue Lebensspuren, bis sie sich schließlich doch dem überlegenen Volk stellen müssen.
Mali ist jung und verliebt und vor allem bereit ihr Leben für die Liebe zu opfern. Ihr Feind jedoch fordert eines, das sie an allem zweifeln lassen wird.


Meinung:


„Irminar – Die Seelenleserin“ ist ein Roman, den man als Leser nicht leichtfertig beginnen sollte, um ihn mal eben zwischendurch zu lesen. Es ist eine Geschichte, auf die man sich einlassen muss, um ihre tiefere Bedeutung und tiefgründige Emotionalität zu erfassen. Sie beginnt als lockeres, fragwürdiges Spiel um eine Brautschau der besonderen Art, gespickt mit humorvollem, teils sarkastischem Schlagabtausch ihrer Protagonisten und vermittelt dem Leser das Gefühl, eine gewisse Ernsthaftigkeit zunächst vermissen zu lassen. Ein erster Eindruck, von dem man sich nicht täuschen lassen sollte. Denn genauso wenig wie die zweifelhafte Brautschau das ist, was man zunächst dahinter vermuten würde, so entfaltet sich die eigentliche Geschichte erst auf den zweiten Blick, langsam und stetig wie eine Perle, die man aus einer Muschelschale löst, zu einer tiefgründigen, berührenden und manchmal auch nachdenklich stimmenden Handlung, die sich mit den Gefühlen und den Licht- und Schattenseiten, in die einen das Leben stürzen kann, in allen erdenklichen Facetten auseinandersetzt. Leicht macht Nika Bechtel es uns nicht. Sie konfrontiert uns auf diesem Weg mit Fragen, rätselhaften Andeutungen, die uns nicht selten verwirrt zurücklassen. Manchmal erwischt man sich dabei, verzweifelt zurück zu blättern, ob man eine Erklärung überlesen hat. Nicht selten rauft man sich die Haare und flucht über das Zögern und die Gedanken und das Handeln der Protagonisten, die man nicht verstehen mag. Gerade diese Art, ihre Welt, die Hintergründe der Handlung und die charakterlichen Facetten ihrer Figuren erst nach und nach zu beleuchten und offen zu legen, hat mich oft dazu gebracht, das Buch zur Seite legen um nachzudenken und das Geschehen auf mich einwirken zu lassen. Gleichzeitig hat es aber auf mich einen besonderen Reiz ausgeübt unbedingt Antworten auf meine Fragen zu bekommen und mich immer wieder magisch zu der Geschichte zurück gezogen.


Schritt für Schritt erschließt sich dem Leser die Welt, in der Nika Bechtels Geschichte spielt. Auf dem Anwesen der Familie Irminar treffen unsere Protagonisten zum ersten Mal aufeinander. Mir war zu Beginn dabei nicht bewusst, das dies alles sich im Hier und Jetzt abspielt, gewinnt man doch eher den Eindruck es handelt sich um ein Anwesen im 18. Jahrhundert, auf dem eine Brautschau im althergebrachten Stil für den Herrn des Hauses abgehalten wird. Die Frauen werden angehalten Kleider zu tragen, die Ausstattung des Hauses erinnert eher an ein Herrenhaus aus alten Zeiten, mit seinem oft antiken Mobiliar, seiner Bibliothek, alten Gemälden, einem fast schon verwunschenen Rosengarten hinter hohen Hecken und seinen Sagen. Nur langsam wird deutlich, dass die Familie Irminar eine besondere Familie ist, deren genetisch besondere männliche Mitglieder sich eine abgeschiedene Lebensweise, die die Traditionen und Werte einer früheren Zeit lebt, aus ganz speziellen Gründen in unserem modernen 21. Jahrhundert gewählt hat. Der Leser ist erstaunt, in einer späteren Phase der Geschichte plötzlich festzustellen, das immer mehr fantastische Elemente in das Geschehen einfließen und dem Gesamtbild eine ganz andere Erscheinung geben, als zunächst gedacht.


Getragen wird der erste Eindruck, es handele sich um einen historischen Roman, von einem wunderbaren, sehr eigenen und nahezu poetischen Schreibstil der Autorin. Man könnte fast glauben ein wortgewandtes Werk von einem der großen Künstler des 18.Jahrhunderts vor sich liegen zu haben, an deren Erzählkunst sich Nika Bechtel mit ihren fein gewählten Worten fast mühelos anlehnt. Und doch unterscheidet sich ihre Sprache nochmals deutlich von der früheren Zeit, in dem sie auch moderne Ausdrucksweisen in ihren Stil fließen lässt, wo Modernes und Altertümliches aufeinandertreffen. Damit gewinnt ihr Schreibstil etwas besonderes, eigenes und ragt deutlich aus der breiten Masse heraus. Dies ist gewiss nicht einfach zu lesen und erfordert Konzentration gerade auf die Feinheiten und Andeutungen, die zwischen den Zeilen stehen, um alles zu verstehen. Wer sich aber darauf einlässt, wird schnell erfassen, wie wunderbar gerade diese außergewöhnliche Art des Erzählens die Entwicklung der Handlung und die fantastischen Hintergründe des Geschehens in ihrer Komplexität und all ihren Facetten unterstreicht.


Ähnlich komplex und facettenreich wie die Sprache und die Welt der Geschichte erschließen sich auch die Handlung und vor allem die Charaktere dem Leser je weiter er sich mit dem Roman auseinandersetzt. Nichts ist, wie es zunächst scheint.


So treffen mit Mali, einer zunächst einfachen Frau aus der modernen Welt und dem genetisch besonderen Mike von Irminar, der ein ähnliches Leben, wie das des alten Adel führt, zwei Charaktere aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten und sich doch fast magisch anziehen.


Beide sind mir sofort ans Herz gewachsen. Mali, eine junge, herrlich schlagfertige Frau, träumt von der Freiheit eines unabhängigen Lebens. Sie bezeichnet ihre Teilnahme an der Brautschau des Herrn von Irminar zunächst als „All inclusive Urlaub“ der sie aus ihrem einfachen Leben entführt und viele Optionen offenbart, die sie bisher nicht kannte. Sie steht dem fragwürdigen Spiel des Mike von Irminar und seinem „Ewigen Freund“ Roger von Gunlau sehr ablehnend gegenüber und nutzt jede Gelegenheit, den Herren auf erfrischend sarkastische Art die Stirn zu bieten. Doch dies ändert sich, als sie sich mehr und mehr zu dem „feinen Schnösel“, den sie in Mike sieht magisch hingezogen fühlt. Vor allem der Leser wird erkennen, dass sich hinter Mali weit mehr verbirgt, als es zunächst den Anschein hat. Je weiter wir in die Geschehnisse eintauchen, entwickelt sich Mali aus ihrer Naivität und ihren Selbstzweifeln, nicht gut genug für ein Leben im Hause Irminar zu sein, zu einer feinfühligen, weitsichtigen und tiefgründigen Frau, die sich vor allem von dem Gefühl tiefer Liebe und Verantwortung für andere verantwortungsvoll leiten lässt.

„Chaos begründet das Leben. Die einzige weise Macht ist die der Liebe“ S. 314


Mike von Irminar ist für mich eine der facettenreichsten Figuren, die ich in Romanen bisher erlebt habe. Auf den ersten Blick, ein verwöhnter Reicher, der es gewohnt ist zu befehlen und sich die Frauen nach seinem Ermessen auszuwählen und wieder wegzuschicken, wird schnell deutlich, dass hinter dieser Fassade ein ganz anderer Mann steckt. Er ist in seinem Herzen einsam und auf der Suche nach der einen wahren Liebe. Als er glaubt sie in Mali entdeckt zu haben entfalten sich all seine erstaunlichen Charakterzüge, die ihn wahrlich zu einem besonderen Menschen machen, den sich jede Frau nur wünschen kann. Bedingungslose Liebe, Treue und eine absolute Selbstbeherrschung zeichnen ihn aus. Man hat immer das Gefühl er weiß genau, wie er mit seinem Gegenüber umgehen muss, um sein Ziel zu seiner Zufriedenheit zu erreichen. Und doch hat er genau wie Mali seine Ecken und Kanten, die ihn zu keinem einfachen Menschen machen. Er hat Fehler, bezwingt oft seine hervorbrechenden Triebe, die ihm auch etwas Machtvolles und manchmal bedrohliche Züge verleihen können. Vor allem aber ist er ein Mann, der sich gerade in Zeiten der Zweifel, der Schuld und der Unsicherheit distanziert und in seine eigene Gedankenwelt zurückzieht. Auch versucht er seine Besonderheit stets zu kontrollieren und lebt nach den strengen Gesetzen der Liga der Männer mit genetischen Besonderheiten.


„ Es sind nicht nur unsere Gene, die uns besonders machen. Es ist das, was wir mit unserem Leben anfangen.“ S. 342


Gerade da, wo sich zwei so unterschiedliche Menschen begegnen und zueinander hingezogen fühlen und gleichzeitig mit den besonderen Regeln der Liga in Konflikt geraten, entstehen Reibungspunkte und die Gefühle begeben sich auf eine Berg- und Talfahrt, die den Leser gleichsam mitfiebern, leiden, seufzen und fluchen lassen. Dies mag auf einige langatmig, oder nervenaufreibend wirken, aber bezugnehmend auf die Hintergründe der Protagonisten und die Geschehnisse im Laufe der Handlung, war es für mich eher faszinierend zu lesen und immer begründet. Die Figuren an sich haben eine unglaubliche Gefühlstiefe, die sich uns in all ihrem Erleben erschließt. Jede noch so zarte oder gewaltige Gefühlsregung durchleben wir, als wäre es unsere eigene. Schmetterlinge im Bauch, ein Prickeln auf der Haut, ergriffen sein von Glück und tiefer Liebe, aber auch panische Angst und tiefen Schmerz, ich habe alles gefühlt, als wäre ich an ihrer Stelle.


Nika Bechtel legt ihren Fokus bewusst auf die Emotionen ihrer Charaktere und lässt den Leser an jeglicher Erfahrung teilhaben, die das Leben an Freude und Schmerz bereithält. Da ihre Protagonisten mit all ihren menschlichen, fehlerhaften Zügen uns so gleichen und sich mit ähnlichen Schicksalsschlägen und Problemen auseinandersetzen, die auch wir durchlaufen, schafft die Autorin eine besondere Nähe zum Leser. Wir leiden und freuen uns immer mit jenen, mit denen wir uns identifizieren können. Manchmal werden wir dabei auch angeregt, uns mit unserem eigenen Erleben zu beschäftigen und nachzudenken.


Suche nicht das Vordergründige. Erkenne, was zwischen den Zeilen geschrieben steht. Nicht selten erschließen sich Kuriositäten und merkwürdiges Handeln erst bei näherer Betrachtung.


Schwierig wird es auf den Handlungsverlauf spoilerfrei einzugehen. Ich möchte hier vermeiden die überraschenden Wendungen und fantastischen Entwicklungen vorweg zu nehmen. Sicher kann ich betonen, dass es nicht bei einem denkwürdigen Spiel, unter dem Mike von Irminar und sein Freund Roger hoffen eine Braut für Mike zu finden, bleibt. Das wäre zu einfach und würde der Idee des Romans nicht gerecht. Immer mehr spielen dosiert auftretende fantastische Elemente, die alte Sage einer Seelenleserin und Bedrohungen durch die Macht des Schattenvolkes eine Rolle für die Entwicklung der Beziehung zwischen unseren Protagonisten. Sie geben der zunächst humorvollen , leichten Handlung eine Wendung, die sich von einer sich stetig aufbauenden Spannung bis zu ihrem dramatischen Höhepunkt zieht und sich zu einem Ende entwickelt, dass ich so nicht erwartet hätte. Ein Ende, dass teilweise betroffen macht, die ein oder andere Träne fließen lässt und zum Nachdenken anregt. Vor allem aber mit Hoffnung und Liebe zurücklässt und mich das Buch zufrieden schließen ließ.


„Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden jähen Bach des Lebens“ (Friedrich Nietzsche)


Das Leben ist nicht immer rosarot und vor allem nicht einfach. Es lässt uns hoch hinaus fliegen und auch immer wieder in schmerzvolle Tiefen stürzen. Aber wenn wir unser Schicksal annehmen und unter der Fahne der Liebe kämpfen, dann hält es Geschenke für uns bereit, an denen wir wachsen und reifen können. Hoffnung ist es, was uns im Fokus auf eine glückliche Zukunft nach vorne schauen lässt. Vieles wird einfacher, wenn wir unseren Schmerz und unsere Zuneigung teilen, uns gegenseitig halten und uns bewusst machen einander zu brauchen.

Mit dieser Aussage hat die Autorin eine glaubwürdige und wunderbare Geschichte erschaffen, die noch viele Fragen auf die ein oder andere Fortsetzung stehen lässt. Es ist noch lange nicht alles erklärt. Malis und Mikes Geschichte nimmt hier erst ihren Anfang.


„Jede, auch diese Krise ist ein Schatz, dessen Wert man erst später erkennen kann. Ein Schatz, der sich wie schwarzes Glück vermehrt, wenn man ihn zu teilen vermag, bereit ist, davon zu geben und sich immer dessen bewusst bliebe.“ S. 401


Fazit:


Mit „Irminar - Die Seelenleserin“ ist Nika Bechtel eine tiefgründige und besondere Geschichte gelungen, die ihren Sog und ihren gefühlsmäßigen Wert zunächst langsam und zwischen den Zeilen beim Lesen entwickelt, aber besonders zum Ende hin mit Macht entfaltet. Für mich war es ein Leseerlebnis, dass mich ungewohnt lang an dem Buch festgehalten hat, aber dennoch tief berühren konnte und nachdenklich über den wahren Wert der Liebe zurückließ. Ich kann nur empfehlen sich auf dieses Buch einzulassen und vor allem zu fühlen.


„Ein Spiel – eine Geschichte. Was ist echt und was ist fantastisch? Leben.“ S.419

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