Rezension zu "Hitler in Hell" von Martin van Creveld
Sollte es tatsächlich eine Hölle geben, dann wird man sicher nicht überrascht sein, den selbsternannten Führer des Dritten Reiches dort vorzufinden. Martin van Creveld hat ihn dort getroffen und sich von ihm eine fiktive Autobiografie diktieren lassen. Das scheint auf den ersten Blick eine brillante Idee für ein Buch zu sein, das eigentlich nur ein Jude so schreiben darf. Wenn überhaupt.
Für van Creveld ist das offensichtlich keine Gratwanderung. Doch ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht. Diesen Hitler, der hier erzählt, gab es nie. Oder andersherum: Wieviel Hitler steckt nun wirklich in diesem Buch? Dem Leser wird suggeriert, dass Hitler die Geschehnisse heute so bewerten würde, wie es im Buch steht. Wer will das überprüfen? Vielmehr handelt es sich um eine entschärfte Variante dessen, was sich der Autor dieses Buches bei einem solchen fiktiven Szenario vorzustellen vermag. Entschärft, weil man Hitler nicht noch im Nachhinein eine Bühne geben darf.
Was man da vom fiktiven Adolf zu lesen bekommt, erzählt im bissigen und oft zynischen Plauderton, kann man verkraften, wenn man sich mit der geschichtlichen Realität hinreichend gründlich beschäftigt hat. Aber dieser Text schafft eine seltsame Nähe zu dieser erfundenen Gestalt. Andererseits ist es immer sehr aufschlussreich, wenn man historische Ereignisse aus der Sicht von Beteiligten erzählt bekommt. Nur ist dieser Hitler fiktiv, und der Erzähler heißt Martin van Creveld. Das macht die Sache etwas verwirrend, wenn man sich diese Konstellation immer wieder vor Augen führt.
Verwirrend ist sie von vorneherein schon, weil man diese Herangehensweise nicht gewöhnt ist. Üblicherweise liegt das Urteil über diese Zeit bereits vor. Schilderungen, welcher Art auch immer, dienen nur noch zum Beweis oder zur Vertiefung des bereits feststehenden Urteils. Hier nun aber urteilt der Diktator. Unkommentiert und gelegentlich mit dem heutigen Wissen. Kann man diesem Hitler eigentlich trauen? Oder muss man davon ausgehen, dass seine Sicht der Dinge etwas durch seine Ideologie verrückt wird? Ist er objektiv? Sieht er Fehler ein? Wenn ja, welche? Um es kurz zu machen: Die Fakten werden grundsätzlich nicht verrückt, und van Creveld versucht, seinen Führer so zu entschärfen, dass man dieses Buch auch veröffentlichen kann. Dadurch entschwindet seiner fiktiven Figur jedoch auch partiell die Glaubhaftigkeit. Was also bleibt von diesem Buch?
Zum einen ist es eine raffiniert angelegte, provozierende Hitler-Biografie. Der Text folgt der Zeitachse, macht aber gelegentlich auch Pausen und wendet sich speziellen Themen zu, beispielsweise der Frauenpolitik im Dritten Reich. Da
van Crevelds Hitler selbstverständlich die Vorzüge seiner Herrschaft schildern darf, erfährt der Leser nebenbei auch, dass in dieser Zeit vieles reformiert wurde, etwa die Sozialgesetze. Teile der damaligen Verfügungen gelten noch heute. Aus dieser Zeit stammen eben nicht nur die deutschen Autobahnen, sondern zum Beispiel auch der 1. Mai als gesetzlicher Feiertag.
Raffiniert ist die Anlage dieses Buches vor allem, weil van Crevelds Hitler Dinge deutlicher und scheinbar persönlicher zum Ausdruck bringen kann als dies bei einer neutralen Biografie möglich wäre. Und schließlich platzen gelegentlich auch heftige Seitenhiebe auf die Gegenwart aus van Crevelds Gestalt. Das klingt dann beispielsweise so: "Ich besuchte auch regelmäßig die Wagnerfestspiele in Bayreuth. Wie ich gehört habe, hält Frau Angela Merkel das genauso." Oder über die Bundeswehrführung: "Heute scheint Feigheit in Berlin kein Hindernis auf dem Weg ins Oberkommando zu sein, sondern eine Grundvoraussetzung dafür." Ist das nun van Crevelds Meinung? Oder glaubt er, dass Hitler heute so denken würde? Wenn ja, woher nimmt er das?
Für mich sind es im Besonderen diese seltsamen Ausflüge des fiktiven Hitler in die Gegenwart, die diesem Buch in meinen Augen einen eher zwiespältigen Charakter geben. Wenn ich van Creveld richtig verstanden habe, dann will er damit warnen. Ich habe da meine Zweifel, ob ihm das wirklich gelungen ist. Auch das genaue Gegenteil wäre nämlich durchaus möglich. Mit seiner fiktiven Figur schafft van Creveld eine eigentümliche Nähe zum Original. Wer sowieso schon empfänglich für dessen Ideologie ist, dem wird dieses Buch wohl recht gut gefallen.
Objektiv gesehen macht van Creveld nichts falsch. Er hält sich an die Fakten und versucht, die Denkweise des tatsächlichen Führers zu verstehen und sie dem Leser nahezubringen. Ob ihm das tatsächlich gelungen ist, kann man nicht wirklich beurteilen, weil man diesen Menschen nur aus historischen Dokumenten kennt. Zu Höchstform läuft van Creveld bei seinen Schilderungen einiger militärischer Auseinandersetzungen des Zweiten Weltkrieges auf. Das ist schließlich auch sein Spezialgebiet. Beachtlich fand ich auch den Abschnitt über die sogenannte Endlösung, die sehr genau die Abläufe wiedergibt. Was seine fiktive Figur dort zum Besten gibt ist allerdings auch der Gipfel eines schwer erträglichen zynischen Stils, der den ganzen Text durchzieht.
Kurz gesagt: Ein zwiespältiges Buch, weil man es auch anders verstehen kann, als es der Autor wohl gemeint hat.