Rezension zu "Die Erfindung der Leistung" von Nina Verheyen
Hochinteressant
Die Stichworte „Burn Out“ und „Arbeitszeitverdichtung“, in Verbindung mit „ständig zunehmender Geschwindigkeit der Prozesse der Arbeit“ (und des Lebens), sind keine „Modeworte“ von vor einigen Jahren, sondern zunehmend, noch stärker, noch deutlicher und ohne, dass ein Ende der Steigerung abzusehen wäre, Teil des täglichen Lebens.
Dem zu Grunde liegt (und dass nicht nur, aber auch klar absehbar in abfälligen Bemerkungen sozial Schwächeren gegenüber diese als „faul“ titulierend), dass das „Prinzip Leistung“ herrscht. Seit ehedem, könnte man sagen. Wobei die intrensischen Motive vielleicht einem Wandel sich in Teilen unterziehen (nicht immer gilt für die Gegenwart noch „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“). Aber das Streben nach Reichtum, Macht, Einfluss, die Idee, dass aus „Leistung“ etwas an vorzeigbarem Erfolg wird (der um jeden Preis, anscheinend selbst von denen, die gar nicht mehr wohin wüssten mit ihren Ressourcen, verteidigt, am Besten noch gesteigert werden muss).
Wie auch am Gegenteil zu sehen. Wenn Einfluss schwindet, man „abgesägt“ wird oder es einfach nicht mehr reicht, „mitzuhalten“. Nicht selten als persönliche Demütigung steht dies dann im Raum.
Und auch wenn eine neue Generation von Teilnehmern am Arbeitsleben Worte wir „Work-Life-Balance“ nach vorne schieben, dass „Private“ höheren Stellenwert vor „Karriere“ hier und da erhält, auch das „muss man sich leisten können“, scheint es.
Eine an Effizienz und Leistung orientierte Weltordnung, die in diametralem Gegensatz zu den Erkenntnissen und Haltungen jener Philosophen steht, auf denen aus der Antike heraus sich diese „moderne Welt“ durchaus mitbegründet hat.
Müßiggang, auf keinen Fall körperlich arbeiten. Zeit, die Gedanken fließen zu lassen, dass waren damals die Werte, die bis heute in der Philosophie nachzulesen und nachzudenken sind. Was aber, eine nicht unerhebliche Einschränkung, nur dadurch möglich war, dass andere „Leistung“ erbrachten. Sklaven eben.
Nina Verheyen nimmt in ihrem neuen Werk, bestens zu lesen, sich dieser Frage an. Wo kommt eigentlich unser „Leistungsdenken“ und diese fundamentale Bedeutung der „Leistung“ genau her. Warum ist es so, dass all, die nicht mithalten können, mehr und mehr als „faul“, als „Sozialschmarotzer“ angesehen werden, statt dass Mitleid und Solidarität in den Vordergrund treten?
Und wie ist dieser schroffe Gegensatz im Literaturbetrieb zu erklären, wo auf der einen Seite tausende Ratgeber zur Gelassenheit, Selbstsorge, Achtsamkeit und „Kraft zur Muße“ sich die Regale redlich teilen mit ebenso vielen Ratgebern zur Selbstoptimierung, zur geplanten Karriere, zu allen möglichen Tipps und Tricks, die eigene „Leistung“ zu steigern?
Und wie kann das sein, dass dieser Gedanke, durch Leistung wirklich ganz nach oben kommen zu können, so tief verankert ist? Wenn doch, statistisch gesehen, das System eben gar nicht „aus eigenen Kräften“ durchlässig ist und Ausnahmen diese Regel eher bestätigen, denn diese zu widerlegen?
Herkunft, Ort, Familie, Hautfarbe, Bildungsmöglichkeiten, Erbschaften, Glück und Zufall, dass sind doch die eigentlichen Variablen für ein (zumindest materiell) „erfolgreiches Leben“. Wobei es daher ebenso eher eine Einbildung derer ist, „die es geschafft haben“, dies allein „eigener Leistung“ zurechnen zu wollen.
Es lohnt sich daher, die Perspektive mit der Autorin zu wechseln.
Nicht vordergründig auf „objektive“ Leistungen zu schauen, sondern auf „individuelles“ Leistungsvermögen und genau für dieses individuelle Vermögen Wertschätzung und gesellschaftliche Akzeptanz als gemeinsamen, gesellschaftlichen Weg in die Zukunft zu kreieren.
Denn alle Prognosen der mittleren Zukunft, in denen nicht mehr genug an „leistungsorientierter“ Arbeit „für alle“ vorhanden sein wird, macht ein solches Umdenken der Werte in subjektive Relationen statt objektiv materiell vermeintlich messbaren Wert einer Leistung nötig.
Was sich im Übrigen bereits aus der sehr fundierten, historischen Erläuterung der Entwicklung der „Leistung“ im Buch entfaltet.
Der Mensch ist und bleibt eben „keine Maschine“ und besitzt vielfach mehr Nuancen, als sie „objektiv messbar“ vorliegen könnten. Womit einem Leistungsgedanken keine Absage erteilt wird, sich aber je persönlich die Frage stellt, wohin denn eine „Selbstoptimierung“ wirklich gehen sollte und könnte.