Cover des Buches Binti Sammelband (ISBN: 9783959816571)
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Rezension zu Binti Sammelband von Nnedi Okorafor

Gut gedacht, aber nicht gut gemacht

von Beust vor 5 Jahren

Kurzmeinung: Die Autorin ist mit ihren eigenen Ideen überfordert. Gut gedacht, aber nicht gut gemacht.

Rezension

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Beustvor 5 Jahren

Im vorliegenden „Binti“-Band sind drei Novellen der gefeierten amerikanischen Autorin Nnedi Okorafor erstmals versammelt, die zuvor einzeln erschienen sind. Okorafor gilt als Stimme eines Afrofuturismus, der Themen und Anliegen der afrikanischen Diaspora in Science-Fiction-Geschichten auch mittels Elemente der afrikanischen Kulturen berührt. Die namensgebende Protagonistin des Bandes ist die dem namibischen Himba-Volk entstammende Binti, die wegen ihrer herausragenden mathematischen Leistungen und ihrer Befähigung zur Harmoniemeisterin die Gelegenheit erhält, an der intergalaktischen Oomza-Universität zu studieren. Dieser Schritt – nicht nur aus dem Stamm oder der Heimat hinaus, sondern sogar ins All und in eine von Technologie geprägte Welt – ist für eine Himba mehr als ungewöhnlich. Binti ist eine Ausnahmeerscheinung, weshalb die Autorin an ihr die Fragen nach Stammeszugehörigkeit, ethnischer Bindung, Bewahrung und Hinterfragen von Traditionen, Fortschrittsglaube und Heimatsuche angehen kann. Mithin also den Widerspruch von afrikanischer Erdverbundenheit (oder gar naturverbundener Rückständigkeit) auf der einen und Weltraumtechnologie auf der anderen Seite.

Der Ansatz ist vielversprechend und lenkt sich auf die zentralen Themen des Afrofuturismus bzw. als afrikanisch verstandener Science-Fiction-Literatur. Okorafor scheitert damit allerdings auf ganzer Linie, weil sie erstens ihre Erzählung schlecht konstruiert, zweitens ihre Figur überfrachtet und drittens einfach nicht gut erzählt.

1) Die drei Novellen – ursprünglich einzeln erschienen – entbehren einer schlüssigen Handlung oder mindestens eines inneren Wachstumsprozesses bei Binti. Die mittlere Novelle besitzt zudem weder Anfang noch Ende, sondern ist als Mittelteil der beiden anderen konstruiert. Die Konfiguration Bintis als Mathematikgenie, Zauberweberin (mittels Magie) und Harmoniemeisterin hat erhebliche Schieflage und wirkt wie der Darstellung eines Rollenspielcharakters bei D&D. Handlungen Bintis werden wenig oder gar nicht motiviert, Ereignisse bleiben bedeutungslos (Warum fährt Binti nach einem Jahr nach Hause? Warum bleibt der Schuss auf Okwu folgenlos? Wohin geht die Seele nach dem Tod – wenn es eine gibt – und wieso kommt sie zurück?). Diie „willing suspension of disbelief“ endet recht bald.

2) Binti ist ein erstaunliches Mädchen, das sich von ihrer Herkunft emanzipiert. Sie erlebt Neues, erfährt ihr und ihrem Stamm Unbekanntes und erwirbt – buchstäblich – Fähigkeiten fremder Völker und Rassen. Die Spannung zwischen den Himba und den Koush (ein anderes Volk in Bintis Heimat) ist schon sehr groß – aber beides sind Menschenvölker. Wird hier Kolonialismus verhandelt, weil die Koush auf die Himba herabsehen? Das bleibt unklar, denn die nächste Spannung ergibt sich zwischen den Menschen und den Medusen, die übernächste zwischen den Medusen und den Koush im Besonderen, zwischen Binti und ihrem Volk der Himba und schließlich zuletzt in der Auseinandersetzung zwischen Mensch und lebendigem Raumschiff. Binti hat an allen diesen Völkern Anteil (bzw. umgekehrt), und das ist zuviel. Die Figur implodiert ohne Aussagekraft wegen unsachgemäßer Überfrachtung. Es hätte gut getan, die zentrale Handlungsträgerin auf eine Gruppe von Personen aufzuspalten, um dieselbe Geschichte zu erzählen.

3) Der ständige Monolog Bintis in der Ich-Perspektive vermittelt keine Entwicklung, nicht einmal eine analytische Beschreibung, sondern sehr viel naives Staunen, oberflächliche Beobachtung und vor allem: Redundanz. Die Zahl der mit „Ich“ beginnenden Absätze und Sätze ermüdet gewaltig.

Ist das typisch afrikanische Fantasy? Ich weiß es nicht. Womöglich ist es ein Lable, das auf Okorafors fantastischen Geschichten geklebt wird, weil sie sich (auch) in der afrikanischen Mythologie bedient. Die Medusen aber und Bintis Erscheinung als Gorgo mit dem Schlangenhaupt ist der griechischen Mythologie entnommen. Ansonsten geht Okorafor sträflich mit den mystischen/mythischen Elementen ihrer Erzählung um: Was war an "Star Wars - Episode 1" noch ärgerlicher als Jar Jar Binks? Die Erfindung der Midi-Chlorianer, die einen Menschen zum Jedi-Ritterdasein befähigen. Kleine Mikroorganismen ersetzen die Mystik der "Macht" (TM), mit der Luke den Todesstern allein erledigt. Hier sind es auf Seite 188 kleine Nanoiden von Außerirdischen, die ein Wüstenvolk in ihr But und in ihre DNA aufnahm, um fortan mit mystischer Kommunikationsfähigkeit gesegnet zu sein. Oder: Vom Tode auferstehen kann man einfach mittels einer Frischzellenkur. Oder: Alien-DNA im eigenen Leib verändert zwar den Charakter, aber wenn man es erst einmal weiß, muss man diesen neuen Charakterteil einfach unter Kontrolle bringen, eine Identitätskrise folgt nicht. "Mehr steckte nicht dahinter", Zitat S. 199!? Kreisch! Man muss ja nicht gleich eine so große Sache daraus machen wie bei Gregor Samsa, aber das ist ein literarischer Offenbarungseid.

Gefallen hat mir an der ersten Kurzgeschichte/Novelle noch, wie Okorafor ihre Leser einfach in die Szene wirft, ohne viel zu erklären. Die Funktionsweise von biologischem Stahl, lebendige Raumschifforganismen, schwebende Medusen nimmt man beim Lesen einfach so hin. Das ist gut und hält den Geist wach.

Ich wurde aber nach einer sehr großen Anfangssympathie mehr und mehr enttäuscht von der handwerklichen Unfähigkeit der Autorin, von künstlerischer Literarizität will ich gar nicht reden. Viele gute Gedanken sind schlicht mangelhaft umgesetzt: gut gedacht, aber schlecht gemacht.


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