Rezension zu "Dr. Mabuse, der Spieler /Dr. Mabuses letztes Spiel" von Norbert Jacques
Dominik_HellenbeckWer zu Norbert Jacques' Buch greift, um die sechs Dr. Mabuse-Filme der CCC-Film quasi nachlesen zu können, wird bitter enttäuscht werden. Zwar diente es als Vorlage der Filme, CCC-Chef „Atze“ Brauner suchte jedoch nur Stoff, um eine Konkurrenz-Filmreihe zu den sehr erfolgreichen Edgar-Wallace-Kinofilmen zu realisieren. Inhalt, Tempo und Erzählweise der Filme aus den 1960ern haben mit den beiden Mabuse-Romanen eher wenig zu tun.
Der erste, „Dr. Mabuse der Spieler“ ist mehr Sittengemälde des zusammengebrochenen Reiches und der sich zögerlich formierenden Republik als Kriminalliteratur. Das Buch reflektiert den Zusammenbruch aller Werte nach 1918 in Deutschland, schildert die galoppierende Inflation und deren Folgen: erfolgreiche Schieber und reiche Kriminelle dominieren die Gesellschaft, die früheren Eliten wie Offiziere, Richter oder Beamte sind verarmt. Das Buch bildet diese enormen gesellschaftlichen Kontraste sorgsam ab und ist voll von gesellschaftspolitischen Überlegungen über die Sinngebung der neuen, für die Deutschen völlig ungewohnten Staatsform der Republik.
Der Spannungsaufbau mag aus heutiger Sicht sehr betulich und umständlich wirken, was aber bei einem einhundert Jahre alten Werk nicht verwundern darf. Der Roman wurde 1920 für die Leser aus dieser Zeit geschrieben, anders etwa als „Tod eines Gentlemans“ von Christopher Huang, der zwar ebenso einen Krimi über die 20er Jahre beschreibt, dies aber als Autor der Gegenwart für die Leser der Gegenwart – sein Buch wurde 2018 veröffentlicht. Demzufolge weisen beide Werke in Aufbau, Tempo und Erzählweise auch deutliche Unterschiede auf.
Der zweite Roman in diesem Doppelband, „Dr. Mabuses letztes Spiel“ oder auch „Das Testament des Dr Mabuse“ basiert wiederum auf dem gleichnamigen Filmdrehbuch von Fritz Lang. Er orientiert sich stärker am herkömmlichen Kriminalroman, beschreibt aber eigentlich die tiefgreifenden politischen Umwälzungen in Deutschland von 1931. Die kontinuierlich steigende Arbeitslosigkeit schafft das Klima für Verbrecher aller Art - die Parallelen zum Aufstieg Hitlers sind offenkundig. Die Aktionen Mabuses zielen direkt auf die Zerstörung der labilen Demokratie, sei es durch Attacken gegen Wahllokale, sei es durch das in Umlauf bringen von Falschgeld, welches das Vertrauen in Wirtschaft und Staat weiter untergraben soll. Wie im Fieberwahn windet sich die Gesellschaft im Dauerwahlkampf, eine Reichtagsauflösung jagt die nächste, so dass die Erlösung zunehmend bei politischen Extremisten gesucht wird. Der Film von 1932/1933 wurde von den Nationalsozialisten wegen der politisch brisanten Anspielungen auch umgehend verboten, der Roman erschien erst 1950.