Rezension zu "The Journey of Humanity – Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende" von Oded Galor
M.Lehmann-PapeFundierter und breiter Bogen zu zwei gesellschaftlich-existenziellen Grundfragen
Quasi von Beginn an erzählt Oded Galor die Geschichte der Menschheit durch die Jahrtausende hindurch. Allerdings nicht nur als einfache Darstellung, sondern mit zwei klaren Leitfragen versehen, die sicher nicht nur Galor selbst für existenziell prägend und wichtig für die Menschheit erachtet.
Nämlich woher sich der „Wohlstand“ generiert und wie das ist mit der „Ungleichheit“, die wohl als „Geburtsprägung der Menschheit“ bereits zu Beginn das Feld des menschlichen Lebens mitbetreten hat.
Nicht nur als wirtschaftliches oder politisches „Primat“ erkennt Galor dabei zum einen das „Wachstum“, sondern eher als eine Art Rätsel mit weitreichenden Folgen, vor allem aber als eine Form der genuinen Befindlichkeit der menschlichen Gesellschaft (die immer mehr an Fahrt aufgenommen hat und inzwischen wohl den Menschen fast „abhängt“ in ihrer Dynamik) und zum Zweiten, en damit verzahnt, wendet ich Galor einem zweiten „Befindlichkeitsmerkmal“ der Gattung Mensch zu allen Zeiten zu, der „Ungleichheit“ der Lebensverhältnisse. Was, folgt man seiner fundierten Argumentation, nicht als Zufall“ oder „zur rechten Zeit am rechten Ort dagewesen“ alleine begründet werden kann, sondern tiefe Hintergründe in vielfacher Hinsicht in sich trägt.
Vor allem aber, erstaunlich zu lesen, weist Galor entgegen der üblichen Einschätzung, darauf hin, dass dieses Wachstum und diese Ungleichheit in ihren klar erkennbaren Folgen erst in der Neuzeit immens an Geschwindigkeit zugenommen haben.
„Die erstaunliche Steigerung der Lebensqualität in den vergangenen zwei Jahrhunderten ist in Wahrheit das Ergebnis eines plötzlichen Wandels“.
Nämlich der Entkoppelung von Ressourcen und Geburtenrate. Während zu früheren Zeiten Phasen des Wohlergehens mit steigender Bevölkerungszahl einherging, bis die Ressourcen verbraucht waren und die Bevölkerung umgehend wieder schrumpfte (schrumpfen musste), ist es ein Kennzeichen der Moderne, dass beide Faktoren sich entkoppelt haben. Dass die Ressourcen sozusagen steigen, auch wenn die Bevölkerung schrumpft und bei Wachstum der Bevölkerung der technische Fortschritt (bis dato) ein „Verhungern“ zumindest deutlich abbremst, wenn auch nicht ganz verhindert.
„Unterströmungen“, wie Galor sie nennt, die leicht aus dem Blick geraten ob der Vielfalt historischer Ereignisse und Fakten, aber von Galor überzeugend nun in den Blick des Betrachters gerückt werden. Unterströmungen, die wichtig sind, gerade in der Grundfrage, wie sich die Zukunft der Gattung Mensch auf dem Planenten Erde noch darstellen lassen könnte angesichts der massiven Probleme der Gegenwart.
Dass nun der Lebensstandard sich in der letzten, recht kurzen Zeit der Geschichte intensiv erhöhte, die Lebenserwartung weitgehend weltweit stieg, führt Galor grundlegend auf die industrielle Revolution zurück, damit die Anforderung an den ;Menschen, sich technisch immer mehr zu entfalten, um diesen Fortschritt bewältigen zu können, mithalten zu können. Mit dem Fokus auf „Bildung“ als zunehmende Kernressource statt der „natürlichen Verfügbarkeiten“ und zugleich sorgte ein Rückgang der Geburtenraten in den entwickelten Bereichen der Welt zu einer Verminderung des „Populationsdrucks“ und damit zu seiner Dauerhaftigkeit der Sicherung der erreichten Standards.
Unter Umständen aber ist nun eine Zeit angebrochen, an der die Ressourcen doch wieder das Wachstum in Frage stellen.
Was mit der zweiten Betrachtungslinie im Werk eng verknüpft ist. Der Ungleichheit. Denn während in den technisch hoch entwickelten Gegenden der Welt die Geburtenrate drastisch seit Jahren und Jahrzehnten sinkt, erhöht sich diese weiterhin in weniger entwickelten Bereichen des Planeten. Sich gegen die Ungleichheit zu stellen, so logisch und folgerichtig sich diese aus bestimmten Ursachen heraus entwickelt hat im Lauf der Geschichte, so klar ist auch, dass erst die Angleichung der Lebensumstände und der inneren Ausrichtung auf Bildung, Erhöhung des Lebensstandards und Absicherung der Ressourcen für die jeweiligen Gesellschaften zu einem ähnlichen Effekt weltweit führen würden. Und damit der Planet „entlastet“ werden würde von einer immens gewachsenen Zahl an Menschen.
Das kann und wird nicht über Nacht geschehen. Das benötigt Unterstützung und Verzicht auf der „stark verbrauchenden“ Seite der Menschheit, das bedarf einer Haltung des Teilens, nicht aus altruistischen Beweggründen, sondern aus der Einsicht in die Sicherung der eigenen Zukunft überall auf dem Planeten. Galor plädiert für ein Erkennen überhaupt der „Asymmetrie der Welt“ und eine Verringerung ebenjener. Diversität und Förderung entlang der individuellen Möglichkeiten von Gesellschaften sind dabei die Schüsselbegriffe, in denen Galor, durchaus optimistisch gestimmt übrigens, die Zukunft der Menschheit sieht.
Ein spannendes Werk, ein gut zu lesender Stil, ein fundiertes Wissen und so manche Überraschung erwarten Leser und Leserinnen in der Begegnung mit dieser sehr empfehlenswerten Lektüre.