Rezension zu "Erst lesen. Dann schreiben" von Olaf Kutzmutz
Der Schreibratgeber von Stephan Pormobka und Olaf Kutzmutz ist eine erkenntnisreiche Lektüre für alle, die von den Großen lernen wollen und wurde Robert Gernhardt gewidmet.
"Zweimal zwei nicht vier" beginnt Robert Gernhardts Essay, der erste von 22 Autoren, die über ihre Lehrmeister und von Büchern, die sie literarisch inspiriert haben, berichtet. Der unlängst verschiedene Satiriker und Karikaturist bewunderte Georg Christoph Lichtenberg, sein "Sudelbuch" und dessen Lust, Zweifel zu streuen: "Immer sich zu fragen, sollte hier nicht ein Betrug stattfinden ... Zweifel an allem wenigstens EINMAL, und wäre es der Satz: zweimal 2 ist 4." Von ihm hat Gernhardt viel gelernt für seine schriftstellerische Tätigkeit und gibt das Wissen großzügig an die Leser des Schreibratgebers von Stephan Pormobka und Olaf Kutzmutz weiter. Da sein Beitrag die Herausgeber an seinem Todestag erreichte, haben sie ihren Band "Erst lesen. Dann schreiben" kurzerhand dem Unvergesslichen gewidmet.
1 % Inspiration - die Großen sind "Beobachtungs-Maniacs"
Ulrike Draesner, Daniel Kehlmann, Antje Rávic Strubel und weitere sehr unterschiedliche Autoren schreiben über bedeutende, aber auch über unbekannte Bücher, der Besonderheit ihrer Verfasser und was man von ihnen lernen kann. Das Buch setzt auf produktives Lesen und erörtert das "Wie" des Schreibens, legt Wert auf Details und untersucht das sagbar gemachte Unsägliche durch die Großen. Da geht es um den "Beobachtungs-Maniac" Genazino oder um Nabokovs faszinierende Fähigkeit der "deutlichen Worte", die zeigen, wie wichtig es ist, nicht nur Vorbilder zu haben, sondern auch Verschmähte klar abzulehnen.
Einmal lautet die Frage, wie Georges Simenon in seine Figuren eintauchte und selbst zum Romancharakter wurde. Hans-Ulrich Treichel fordert dann die "Nachahmung als wichtige Technik zur Initiation in die literarische Tätigkeit". An anderer Stelle stellt Ulrich Greiner jedoch zerstörend fest, "dass Vorbilder nichts taugen, wenn man sich nicht von ihnen freihalten kann".
Hinter jedem Essay verbirgt sich eine Aufgabe
Am Ende ihrer Essays stellen die Autoren dem Leser jeweils eine Schreibaufgabe. Dies, um die "Schwelle zwischen Lesen und Schreiben abzusenken", wie es im Vorwort heißt. Nicht selten sind die Aufgaben nur mit ausdauernder Übung und immensem Zeitaufwand verbunden. Dafür kommt man aber seiner eigenen Stilvervollkommnung näher, schärft die persönliche Beobachtungsgabe und wird reich entlassen mit neuen Erkentnissen.
99 % Transpiration
Nicht jeder Essay versprüht jedoch den begehrten kreative Funken und regt zur eigenen literarischen Produktion an. Durch manche Ausführungen quält man sich beinahe, was sich wiederum mit Edisons Genie-Formel "1 % Inspiration und 99 % Transpiration" trösten lässt.
Ein solch schwer zu lesender und kaum nachvollziehbarer Aufsatz kommt von Michael Rutschky. Er titelt seine Abhandlung mit "Besuche in der Unterwelt" und schildert die prosaische Wirkung des phänomenalen Sigmund Freuds. Bei Freud liefere außerdem das Scheitern die eigentliche Pointe, stellt Rutschky fest, führt aber nicht eindeutig aus, wie sich das denn offenbart. Woran Rutschky letztendlich selbst scheitert, ist seine Unverständlichkeit, die mal hier, mal da Freuds Schreiben und Wirken anpackt, sich aber immer nur vage herantastet mit Sätzen und Phrasen wie: "Jetzt beginnt so etwas wie Deutung", "mit mehr-minder starkem Befremden", bis er schließlich zugibt: "Womöglich weiß ich selber nur undeutlich, was ich sagen will." Besser gleich das Original lesen.
"Erst lesen. Dann schreiben" ist ein anschaulicher technischer Ratgeber und eine Ermutigung, seine schriftstellerischen Vorbilder zu suchen und ihnen zu folgen. Aber Vorsicht sei geboten: Nicht die reine Nachahmung, sondern Umgestaltung und Abgrenzung bringt Autoren voran.