Rezension
„Forelle Grau“ erzählt die Geschichte eines Mannes, der im Großraum Berlin zwei Wohnungen für insgesamt fünfzig Mark Miete besaß und dann kam die Wende
Schwarzbach schlägt in seinen Memoiren den lockeren „Bluesbruder“-Ton der unangepassten DDR-Jugend an. Den Anfang macht das Ende der Geschichte, der Künstler lebt gerade in Brighton, er beobachtet den Abflug der Stare im Land der richtigen Musik.
Es scheint nichts Besonderes in Olaf zu stecken, er ist faul, fernsehsüchtig, Fußball ist auch egal. Die leibliche Tochter seiner Pflegeeltern haut ihm jahrelang die Hucke voll. Die „Oma“ beklaut ihn und mokiert sich über „die Memme“, die indes ungemein in die Höhe schießt. Olaf lässt sich vom „Neuen Deutschland“ zum Facharbeiter für Offsetdruck ausbilden. Der Meister sieht aus wie Lemmy Kilmister: „Eines Tages fing ich ihn auf, als er im Treppenhaus vom obersten Absatz herunter … stürzte. „Danke Jungs, weitermachen!“ lallte er.“
Ein Alltagstrott mit viel Alkohol bestimmt das Texttempo, die Sache bleibt trotzdem interessant. Schwarzbach archiviert die Schliche der Staatsferne. Er erinnert an idyllenmalerische Subversion so wie an den „Paragraf zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten“. Im Arbeiter- und Bauernstaat müssen die Bluesbrüder und –schwestern „eine geregelte Arbeit“ nachweisen. Sie schustern sich gegenseitig Hausmeisterjobs und Toilettendienste zu. Sie erzeugen eine beträchtliche Akademikerdichte in der Friedhofspflege. Sie kontern die Selbstherrlichkeit der SED-Macht mit Fluxus-Methoden. Nach der Tschernobyl-Katastrophe gibt es plötzlich jede Menge Obst und Gemüse, das für den Westen bestimmt war, da aber keine Abnehmer findet. Inzwischen ist Schwarzbach paradiesisch in Prenzlauer Berg zuhause, er unterhält zwei Wohnungen für insgesamt fünfzig Mark Miete. Er weiß noch nicht, dass jetzt die Party stattfindet, die viele in der Zukunft vermuten. In der Greifenhagener Straße lernt er den Umgang mit einer Handhebelpresse. Mit seiner Korona praktiziert er das Prinzip „Saufen, bis der Kellner kotzt.“ So geht das immer lesenswert weiter. Ich verstehe „Die Geschichte von OL“ als Dokument der Geschichtsaneignung, als ein gelungener Versuch, die eigene Biografie nicht auf westlichen Allgemeinplätzen verkommen zu lassen.