Es fängt schon einmal gut an:
„Mein Alter und auch mein Zustand erfordern es mittlerweile, dass ich mir vor dem Zubettgehen ordentlich die Füße wasche, für den Fall, dass ich in der Nacht von einem Krankenwagen abgeholt werden muss. Wenn ich an jenem Abend in den Ephemeriden nachgesehen hätte, was am Himmel passiert, dann hätte ich mich überhaupt nicht schlafen gelegt. Doch so hatte ich noch mit einem Tässchen Hopfentee und zwei Baldrian-Dragees nachgeholfen und war fest eingeschlafen. Deshalb konnte ich auch zunächst nicht richtig zu mir kommen, als mich mitten in der Nacht ein rücksichtsloses, heftiges und unheilverkündendes Hämmern an meiner Tür weckte.“
Die Ich-Erzählerin ist die verschrobene Englischlehrerin Janina Deszeijko, die an diesem Abend zusammen mit einem Freund namens Matoga wenige Minuten später vor der Leiche ihres verhassten Nachbarn Big Foot steht.
„Er lag seltsam verdreht da, mit den Händen am Hals, als wolle er einen drückenden Kragen wegreißen. Langsam, wie hypnotisiert, ging ich näher. Ich sah seine offenen Augen, die irgendwohin unter den Tisch starrten. Das schmutzige Unterhemd war um den Hals herum ausgerissen. Es sah aus, als hätte der Körper mit sich selbst gerungen und sich schließlich geschlagen gegeben. Mir wurde kalt vor Entsetzen, mein Blut stockte in den Adern, oder es war gänzlich aus meinen Extremitäten gewichen. Noch gestern hatte ich diesen Körper lebendig gesehen.“
In dem Rachen des Wilderers steckt ein Rehknochen. Die Ermittlungen beginnen. Und Big Foot ist auch nicht der letzte Tote in diesem kleinen Dorf in Polen nahe der tschechischen Grenze. Und irgendwie sieht es aus, als hätten sich die Tiere des Waldes auf einen Rachefeldzug begeben.
Viel mehr möchte ich zum Plot gar nicht verraten. Dieser fulminante Beginn des Romans korrespondiert mit einem wirklich grandiosen Finale. Das letzte Viertel des Romans ist einfach nur großartig. Dafür hat die Autorin ganz klar einen Preis verdient. Dass ich dazu jedoch nichts weiter sagen kann, außer euch bitten, mir das einfach mal zu glauben, versteht sich von selbst.
Das, was die Leser dazwischen erwartet, sind nicht nur die Ermittlungen, die natürlich voranschreiten, aber nicht so im Zentrum stehen, wie die Gedanken dieser etwas skurrilen älteren Dame, die sich für Astrologie und die Lyrik von William Blake interessiert und mit einem ehemaligen Schüler namens Dyzio die Gedichte übersetzt.
Der 2009 erschienene Roman der polnischen Schriftstellerin, die 2019 (rückwirkend für 2018) den Literaturnobelpreis bekam, wird als philosophischer Kriminalroman bezeichnet. Es ist ein ganz besonderes Buch mit einer ganz eigenen düsteren und melancholischen Stimmung, das einen nachdenklich zurücklässt, aber das auch viele Momente zum Schmunzeln bietet. Und was mich besonders angesprochen hat, ist, dass es zwar schon sehr kritisch ist, aber insgesamt keine simple Moral bereithält, die der Leser am Ende runterwürgen muss wie Bigfoot den Rehknochen.
Wem könnte dieses Buch gefallen?
Jedem, der Bücher mag, die sich intensiv mit Natur- und Tierschutz auseinandersetzen, der auch mal einige Seiten Reflexionen verträgt, sich mit tiefgründigen Themen und ungewöhnlichen Gedanken auseinandersetzen möchte und der keinen Krimi nur auf die Handlung hin liest. Dem würde ich empfehlen, allenfalls das einleitende und die Schlusskapitel zu lesen. Denn die Ereignisse dazwischen sind mit den philosophischen, cleveren und eigenwilligen Überlegungen der seltsamen, aber grundsympathischen Protagonistin verwoben.