In der "Fanbücher"-Serie des Werkstatt-Verlags erschien im Februar 2010 vorliegende Veröffentlichung über einen Fan des VfL Bochum, bekanntlich einer der grauesten aller Mäuse im Bundesliga-Alltag. VfL-Fan Oliver Birkner erzählt auf 150 Seiten seine Lebensgeschichte als Fan - von den ersten erlebten Heimspielen in den 70ern, über die Beziehung zur inoffiziellen Vereinshymne von Herbert Grönemeyer, bis hin zu traumatischen Erlebnissen wie dem verlorenen DFB-Pokalfinale 1988, manchen Abstiegen, aber auch zu zwei Auftritten im UEFA-Cup, die mit einem Drama gegen Standard Lüttich endeten. Neben den kurvenreichen Geschehnissen rund um den Verein fährt auch das Leben des Protagonisten Achterbahn, bis er schließlich nach Italien auswandert. Passenderweise nach Bologna – eine Stadt, die wie Bochum ebenfalls das „BO“ im Nummernschild trägt und über einen ähnlich mittelprächtigen Fußballverein verfügt. Von nun an verfolgt er die Geschehnisse an der Castroper Straße aus der Ferne – sei es durch Sateliten-TV, aber auch per Live-Ticker in einem hoteleigenen Internet-Café während eines Urlaubs in der Dominikanischen Republik. Was zunächst als Aneinanderreihung von schnell lesbaren und unterhaltsamen Kurzgeschichten beginnt, entwickelt sich ab dem zweiten Drittel des Buchs zur Lebensgeschichte von Birkner, die eng mit dem Schicksal seines Vereins verbunden ist. Wie einst der große Nick Hornby, stellt sich auch der Fan des Ruhrpottvereins mehr als einmal die Frage, ob sein Leben mies ist, weil der VfL gerade eine Durststrecke durchlebt – oder ob es umgekehrt ist. Dabei weiß Birkner vortrefflich zu unterhalten und brilliert mit etlichen kuriosen Gedankengängen – vom sehr gelungenen und kreativen Gebrauch der deutschen Sprache ganz zu schweigen. Immer wieder kokettiert er auch damit, wie wohl er sich eigentlich in der Rolle als Fan eines erfolglosen Underdogs fühlt. So bezeichnet er als seine schönste Saison beispielsweise eine, in der der VfL für Trainerentlassungen bei den Bayern und beim BVB sorgt, Schalke zweimal schlägt und die Torjägerkanone gewinnt, aber am Ende selbst ohne messbaren Erfolg dasteht. Und genau das ist auch eine der beiden Punkte, die ich am Buch zu kritisieren habe: Es punktet unwahrscheinlich hoch in der B-Note, aber am Ende bleibt nicht wirklich etwas hängen. Zudem ist es zwar witzig zu lesen, wie der VfL Bochum immer wieder als erfolgloser Verein beschrieben wird. Dies mag angesichts von nicht vorhandenen Meisterschaften und Pokalen zwar richtig sein. Dennoch geht der Verein im Sommer bereits in seine 35. Bundesliga-Saison und belegt in der ewigen Tabelle damit Platz 12. Angesichts von mehr als 27.000 existierenden Fußballvereinen in Deutschland ist das aber ein Jammern auf verdammt hohem Niveau – und somit für Anhänger zahlreicher kleinerer Clubs alles andere als nachvollziehbar und glaubwürdig…
Oliver Birkner
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
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Nach vorne!
Neue Rezensionen zu Oliver Birkner
NACH VORNE! Manchmal sind es die kurzen Sätze im Fußball, denen nichts hinzufügen ist. Ob als D-Jugendlicher auf dem dörflichen Aschenplatz, gebrüllt vom Jugendtrainer, oder Jahre später auf den Rängen im Stadion selbst, diesmal raus gepustet vom Sitznachbarn: „NACH VORNE!“ passt immer. Ein neues famoses Fußball-Buch heißt genau so und ist so vielseitig wie der Fußball selbst. In „Nach Vorne!“ finden pathetische Abgesänge auf Stadionuhren und Stehplatzränge genauso ihren Platz wie kickende Schlumpf-Figuren in den Wohnzimmern der frühen Achtziger, erwachsene Panini-Dealer auf Grundschul-Pausenhöfen oder betrunkene Vorstopper im Kreisklasse-Fußball.
Kurz: „Nach Vorne!“ ist wie der Fußball selbst: vielschichtig, launig, hin und wieder gar pathetisch aber immer voller Leidenschaft.
Meine Bewertungsskala:
Emotion
Kreisklassen-Fußball ist hart im Zweikampf und rüde im Ton. Jeder, der einmal auf den abgelegenen Aschenplätzen der Republik gegen einen Ball getreten hat, kennt sie: Betrunkene Vorstopper, die obszöne Gesten und Wörter bemühen als gäbe es keinen Morgen mehr, dabei aber trotzdem jeden Mittelstürmer zur Bedeutungslosigkeit degradieren. In der famosen Kurzgeschichte „Die Peule und der Kaiser“ erzählt Herausgeber Sascha Theisen, wie solche Vorstopper ein ganzes Leben zerstören können. Emotionaler, sozialromantischer und schonungsloser geht es nicht.
Abhängigkeit
Ob Fritz Eckenga vom unverbesserlichen Glauben in seine Mannschaft erzählt, ob Sascha Theisen seine Hörigkeit zum limitierten Aachener Stürmer Mario Krohm zelebriert oder ob Daniela Schulz ihr Leben als Fußball-Girlie zum Besten gibt – Fußball-Fans sind immer auch abhängige Mensche. Es ist gut, wenn darüber zu sprechen.
Erlebniswert
Der Schweizer TV-Korrespondent Peter Balzli erzählt von einer irrwitzigen Live-Schaltung nach Brasilien während der WM 2006 – nur eine Geschichte, die aus dem direkten Erfahrungsschatz der „Nach Vorne“-Schreiber stammt. Wunderbar auch der Vater, der Karl-Heinz Rummenigge zusammenfaltet, weil der dem kleinen Sohnemann bei der Autogrammstunde in der örtlichen Sparkassen-Filiale kein Autogramm gibt. Besonderes gelungen: die Erzählung von Axel Formeseyn, der einst mit dem Tortenschlumpf im heimischen Wohnzimmer für seinen HSV zum 2:1 gegen die verhassten Bayern traf – dort im Tor: natürlich der rosarote Panther, allerdings ohne Chance gegen den Tortenschlumpf.
Wahnsinn
Vereinsmaskottchen die per Grätsche den gegnerischen Trainer ausschalten, Kreisklassen-Trainer die ihrer Mannschaft das lädierte Gemächt unter die Nase halten oder Pornodarstellerinnen auf Amateurplätzen – in „Nach Vorne!“ kann alles, muss nichts, geht vieles.
Liebe
Kein Buch ohne Frauen! Das gilt auch und gerade für Fußball-Bücher. Pauline, Antje, Michaela und Saskia heißen die Ladies in „Nach Vorne!“. Was sie mit Fußball zu tun haben? Eine ganze Menge!
Fazit: Nach Vorne! Kaufen!
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