Rezension zu "Ami, it's time to go" von Oskar Lafontaine
" … auch nichts im Ukraine-Krieg, da er ein Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland ist." Das steht auf Seite 39 dieses kleinen Büchleins. Klarer kann man es nicht ausdrücken. Die deutsche Bundesregierung sieht das jedoch völlig anders. Und deshalb, so Lafontaine, ist es die dümmste, die wir seit Bestehen dieser Republik hatten. Seine Argumentationskette ist schlüssig und wird von Fakten und Dokumenten gestützt.
Aber was nützt das alles, wenn die mediale Gehirnwäsche funktioniert? Vielleicht helfen irgendwann demnächst der Blick aufs eigene Konto, der Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft oder andere unangenehme Ereignisse. Lafontaine jedenfalls versucht mit dieser Schrift Menschen wieder zu einem klareren Blick zu verhelfen.
Er schreibt: "Leider ist vieles, was zurzeit öffentlich diskutiert wird, einfach unwahr, schlicht Propaganda und hat mit den realen Tatsachen nichts zu tun. Um das auf die NATO-Diskussion runterzubrechen: Wenn ich Recht habe, dass wir eine Weltmacht haben, welche die einzige bleiben will, und dass sie deshalb Kriege führt, dann kann eine solche Weltmacht doch niemals ein Verteidigungsbündnis anführen! Das ist die Kernthese meiner Überlegungen und wenn man sie akzeptiert, muss man die deutsche und europäische Außen- und Verteidigungspolitik grundlegend verändern. Diese Überlegungen können doch nur zu dem Ergebnis führen, dass wir Europäer eine eigene Sicherheitsstruktur aufbauen müssen – ohne die USA."
Einzelheiten und eine Untermauerung dieser Kernthese findet man im Buch. Es geht in ihm nicht darum, ob man nur ein Putin-Versteher ist oder ein Russenfreund oder andere dümmliche Zuschreibungen in den Augen verblendeter Zeitgenossen erfüllt, sondern um unsere ureigenen deutschen Interessen, die keineswegs darin bestehen können, die Träume der USA, ewiger Hegemon dieser Welt sein zu wollen, realisieren zu helfen, und jeden Rivalen dabei "zu ruinieren", wie das auch die deutsche Außenministerin möchte.
Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, dass die jetzt herrschende Generation völlig losgelöst von den Erfahrungen ihrer Großeltern wieder fröhlich singend durchs Brandenburger Tor in einen Krieg marschieren möchte. Bei Lafontaine stehen da die Dinge anders. Er verlor seinen Vater noch im 2. Weltkrieg. Solche Prägungen scheinen jedoch inzwischen verlorengegangen zu sein. Wortwahl und Rhetorik insbesondere aus der ehemaligen Pazifisten-Partei, die Lafontaine übrigens in seinem Text scharf angreift, sprechen jedenfalls dafür.
Man hätte Lafontaines Text ein wenig mehr redaktionelle Aufmerksamkeit gewünscht. Insbesondere im zweiten Teil wiederholt er sich fast wörtlich. Ich möchte das jedoch nicht überbewerten, dafür ist sein Beitrag einfach zu wichtig. Ebenso unbeachtet lasse ich seine marxistische Weltsicht, die man nicht unbedingt teilen muss. Aber auch das ist unbedeutend, wenn jemand einen klaren Blick auf das eigentliche Problem besitzt und ihn auch mit derselben Klarheit äußert.
Die Interessen der USA sind nicht unsere. Manche mögen sich überschneiden, aber einige stehen uns diametral entgegen. Insbesondere ruinieren wir gerade unser Geschäftsmodell. Und das nachhaltig und möglicherweise unumkehrbar. Nicht zu sehen, dass auch das im Interesse der USA liegt, zeugt von Blindheit.