Cover des Buches Frei nach Schopenhauer (ISBN: 9783495490006)
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Rezension zu Frei nach Schopenhauer von Otto A. Böhmer

Ein Plädoyer für eine gesunde Bodenhaftung

von HansDurrer vor 5 Jahren

Kurzmeinung: Glänzender Witz und auf die Lebenspraxis ausgerichtete philosophische Gedanken, meine absolute Ideal-Kombination!

Rezension

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HansDurrervor 5 Jahren

„Wenn man auch noch so alt wird“, befand Schopenhauer, „so fühlt man doch im Innern sich ganz und gar als denselben, der man war, als man jung, ja, als man noch ein Kind war“, lese ich in Otto A. Böhmers Frei nach Schopenhauer, einem philosophischen Roman, dessen Hauptdarsteller Egidius Fitzroy eine Philosophische Praxis betreibt, wo er Menschen rät, die sich mit Sinn- und Lebensfragen an ihn wenden. „Der Mensch, war seine Überzeugung, ist ein Empfänger, kein Sendbote, er hat im Rahmen insgesamt bescheidener Möglichkeiten hellhörig zu sein, weil ihm sonst etwas entgehen könnte, das wichtig für ihn ist.“

Seien wir also so hellhörig wie möglich, denn es lohnt. Nicht nur weil Schopenhauer viel Schlaues, Hilfreiches und ausgesprochen Realistisches über den Menschen und die Welt geschrieben hat, sondern auch weil Otto A. Böhmer (wofür wohl das A steht? Ich entscheide mich für Aha) ein sehr differenzierter und ein sehr witziger Erzähler ist.

Frei nach Schopenhauer ist von einem ausgesprochen fantasievollen Mann geschrieben worden. Ich jedenfalls habe noch nie so anregend über eine Kreuzfahrt gelesen. „Das Meer war, höflich gesprochen, gänzlich unaufgeregt, der Wellengang bestenfalls zu ahnen, aber kaum zu spüren. Die Wolken, in undefinierbarer Ferne, konnte man für ein über Nacht entstandenes Gebirge halten, mit rauchigen Kegelköpfen, verschwimmenden Spalten und Schluchten, und die Entstehung dieser atlantischen Bergwelt war keineswegs abgeschlossen, sie zog weiter, pumpte sich auf, um gleich darauf an den Überhängen gekappt zu worden.“

Frei nach Schopenhauer ist ein äusserst vergnügliches und höchst lehrreiches Buch. So wird der Leser etwa über die Zeit aufgeklärt, „ohnehin ein relatives Phänomen, das womöglich kaum mehr als ein Assistenzmedium des Menschen ist, der damit mehr Möglichkeiten bekommen hat, sich unter Druck zu setzen …“.

Als die Internationale Schopenhauer Gesellschaft Egidius Fitzroy auf ein Kreuzfahrtschiff schickt, wo er philosophische Sprechstunden abhalten soll, ist er gezwungen zu fliegen, was ihm gar nicht behagt. Zu seinem Bedauern wird der Frankfurter Flughafen („Um ihn herum unerträglich gut gelaunte Urlauber, vorwiegend Familien mit verhaltensgestörten Kindern, dazu acht, neun muntere Greise und eine Ansammlung von Alkoholikern, die alle quergestreifte T-Shirts trugen, auf denen Werbung gemacht wurde für den bekannten Männergesangsverein ‚Halbe-Lunge WAF‘.) nicht bestreikt und so muss er in die Luft („Fitzroy kam in die Mitte einer Dreierreihe zu sitzen, die für ihn allein schon zu eng war. Wer dachte sich bloss solche Diätbestuhlungen aus …“).

In Lanzarote besteigt er dann zusammen mit dem Ehepaar Gantenbein ein Taxi, „dass etwas altersschwach aussah, was aber durch die vertrauenserweckende Erscheinung des Taxifahrers wettgemacht wurde, der seine Fahrgäste mit absolut treuherzigem Blick anschaute und in einer Sprache begrüsste, die sich als weitgehend unverständlich erwies. Spanisch war dabei, ein paar Brocken Englisch, dazu kam aus dem deutschen Sprachraum ‚Grüss Gott‘ und ‚gerne‘ sowie, ein wenig überraschend, ‚Sie mich auch‘; der Rest gehörte wohl einer einheimischen Mundart an, die nicht ganz zu Unrecht vom Aussterben bedroht war.“

Immer wieder wird, es versteht sich, bei diesem Buchtitel, auf Schopenhauer Bezug genommen. Dabei erfahre ich unter anderem auch, dass Schopenhauer eher ein Mann des unnachgiebigen Dialogs war, als dass er auf Diskussionen aus gewesen wäre. „In seinen Schriften steckt vielleicht auch deswegen ein Quantum Weisheit, wie es die allermeisten seiner Kollegen nicht zusammenbekommen haben.“ Und ich lese, dass der Dichter Miguel de Unamuno seinerzeit angeblich Deutsch gelernt hatte, um Schopenhauer im Original lesen zu können.

Höchst aufschlussreich auch, dass Schopenhauer offenbar dem Blick in den Spiegel nicht über den Weg getraut hat. „Warum“, so schrieb er, warum trotz allen Spiegeln, weiss man eigentlich nicht, wie man aussieht und kann daher nicht die eigne Person wie die jedes Bekannten, der Phantasie vergegenwärtigen?, eine Schwierigkeit, welche dem ‚Erkenne dich selbst‘ schon beim ersten Schritte entgegensteht. Ohne Zweifel liegt es zum Teil daran, dass man im Spiegel sich nie anders als mit gerade zugewendetem und unbeweglichem Blicke sieht, wodurch das so bedeutsame Spiel der Augen, mit ihm aber das eigentlich Charakteristische des Blickes, grossenteils verlorengeht.“

Fitzroy bezeichnet sich „auch aufgrund der ihm zugeteilten Denkfaulheit“ als Realist und Pragmatiker, den es nicht, wie einige Kollegen, danach drängt, „das Undenkbare zu denken“ und der deshalb auch nicht „heilloser Verwirrung anheimgefallen“ ist, „die durch psychotherapeutische Behandlung, in die man sich anschliessend begab, nur noch grösser wurde.“ Treffender kann man kaum für eine gesunde Bodenhaftung plädieren, zu der auch diese Feststellung gehört: „Fitzroy war traurig. Intellektuelle Einwände gegen ein solches Gefühl, das einfach nur da war und zu Herzen ging, standen ihm nicht zur Verfügung.“

Ein ganz wunderbares Buch! Ich habe Tränen gelacht und viel gelernt – glänzender Witz und auf die Lebenspraxis ausgerichtete philosophische Gedanken, meine absolute Ideal-Kombination! Otto A. Böhmer beherrscht sie meisterhaft. Frei nach Schopenhauer ist intelligente Unterhaltung vom Feinsten!

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