Rezension zu "Sag nie, woher du kommst" von Amedeo Letizia
Amedeo Letizia - ehemaliger Schauspieler und jetzt Filmproduzent - geboren in Casal di Príncipe in Kampanien, das berüchtigt ist durch die Kriege der Camorra, beschließt seine Vergangenheit zu ergründen, zusammen mit der Journalistin Paola Zanuttini. Es ist die Geschichte einer italienischen Familie aus Casal di Príncipe, das Zentrum der Camorra, bekannt geworden durch den Film und das Buch von Roberto Saviano. (Also: Sag nie, woher du kommst!)
Es ist die Geschichte einer Familie (ein strenger Vater und eine sehr religiöse Mutter) und die Geschichte einer Jugend zwischen der Schule der Priester und Draufgängertum an der Grenzen der Legalität, eine völlig normalen Jugend voller Begeisterung und Frustrationen, aber pervertiert durch ihre Kontakte mit der Kriminalität; eine Geschichte von einem Bruder, der sich in Luft auflöst und einem anderen, der bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben kam; eine Geschichte ohne Helden und Märtyrer. Sie gibt keine Antworten, aber sie kann die Vorurteile und Klischees beheben, weil sie sich auf die Menschen im Allgemeinen und ihre Protagonisten im Besonderen konzentriert.
Amadeo Letizia und Paola Zanuttini zeichnen ein komplexes und filigranes Netz von Gefühlen, Handlungen, Beziehungen, Verhaltensweisen und Ereignisse, die dem Leser ein differenziertes Bild dieser Lebensumstände ermöglichen, die wir so gerne verurteilen. Diese autobiographische Geschichte von Amadeo Letizia macht das Paradigma deutlich, mit dem viele Kinder im Land der Camorra aufwachsen: Manche Menschen haben eine Wahl, für die anderen ist die Auswahl eine Luxus, den sie sich nicht leisten können.
Sensibel erzählt wird eine tragische Realität ans Tageslicht gefördert: Was und wie war das Leben der Kinder in den Jahren 70/80/90? In welchem Land war man in diesen Jahren? Land der Bauern? Land der Unternehmer? Land der Camorra? Eine Geschichte der Wut, der Freundschaft und des Schmerzens. Aber auch die Geschichte eines Erbes, das niemand ausschlagen kann:
„Es ist unser Erbe. Und wenn du es sinnvoll nutzt, ist es ein Plus. In der Welt. Es zeugt von der Mühsal und dem Selbstbewusstsein eines Menschen vom Lande. Von Entschlossenheit. Stolz. Zähigkeit. Eine Aversion gegenüber Chefs aller Art und Unterordnung überhaupt. Von Loyalität. Sein Haus mit eigenen Händen bauen. Familienverbundenheit. All das sind Werte, die zur Katastrophe werden können, wenn man sie missbraucht. Man kann aber auch ein Leben auf ihnen aufbauen, dessen man sich nicht zu schämen braucht.“ (Seite 188)
Das Buch stellt in sehr gelungener Weise jeweils die Texte von Amadeo Letizia und Paola Zanuttini einander gegenüber. Ein Buch von außergewöhnlicher Schönheit. Die Stärke der Geschichte ist die interne Sicht: Der Autor ging mit denen zur Schule, die dann Chefs der Camorra Casale geworden sind, wie z.B. Antonio Iovine, mit dem er ein freundschaftliches Verhältnis hatte. Es gibt keine moralisierenden oder didaktischen Absichten. Es ist geschrieben ohne jede soziale Rhetorik. Es wirkt wie ein Hauch frischer Luft.
Für mich als Pate von zwei kalabrischen Kindern und intimem Kenner von Süditalien ist es eines der besten Bücher über die Verhältnisse dort unten, die wir so gerne als „Machotum“ oder „Folklore aus einer anderen Zeit“ abtun. Wer wissen will, wie es wirklich ist, sollte dieses Buch unbedingt lesen.