Es gibt mehrere Arten auf die Bücher mich begeistern können. Am ehesten, wenn ich etwas zu lesen bekomme, dass ich mir selber nicht einmal hätte denken können. Deshalb stehen auch weiterhin Fantastik und Science-Fiction immer wieder auf meiner Leseliste. Dann erfreue ich mich an guter oder außergewöhnlicher Sprache. Gerne auch mal ein spannender Pageturner oder wenn ich etwas lernen kann. Und dann gibt es noch dieses äußerst seltene „What the Heck“-Gefühl beim Lesen. Was lese ich da gerade? Was passiert hier? Abgefahren. Das klappt natürlich am besten bei Genre-Mixes. Und Patricia Eckermann hat mit Elektro Krause so einen Crossover-Roman geschrieben, der mich absolut begeistert hat. Eine Mischung aus autofiktionaler Erzählung, Geisterjäger-Fantastik und antirassistischem Sachbuch, wobei letzteres äußerst dezent und dadurch besonders wirkmächtig integriert ist.
Elektro Krause handelt von Eckermanns Alter Ego, der schwarzen Elektrikerin Kassy Krause, die nebenbei unfreiwillig als Geisterjägerin arbeitet. Und dieser Urban Fantasy-Anteil ist so dermaßen absurd großartig integriert, ohne großes Brimborium, ohne ausschweifende Erklärungen, dass man fast meinen könnte, dass sei gar nicht fiktional, sondern wirklich alltägliche Realität. Der Roman nimmt sich an dieser Stelle aber natürlich nicht ernst, sondern übernatürlich unbekümmert. Denn es werden nicht die üblichen Geistergeschichten erzählt, sondern Krause hadert allem voran mit den Geistern verstorbener Nazis.
„Wie es ist Schwarz unter Weißen zu sein, Rassismus zu erleben und ihn nicht klar benennen zu können – es sei denn, wir nehmen in Kauf, dafür von den Tätern belächelt, beschimpft oder sogar bestraft zu werden.“
Ich kann tote Nazis sehen
Und diese versuchen mithilfe willfähriger lebender Neonazis den Endsieg doch noch zu erringen und in die Welt der Lebenden vorzudringen. Ziel ist das Vierte Reich und nur Kassy, ihr Vater Nobby und eine Handvoll Freund*innen können dies mit wunderbaren Retro-Waffen verhindern. Der Roman ist eine fabelhaft verspielte Erzählung, die zwischen Fantastik und allzu übler Realität der Wendezeit des 20. Jahrhunderts pendelt. Die bedrückende, und wieder aktuelle, nationalistische Aufbruchsstimmung, der allgegenwärtige alltägliche Rassismus, sind die Lebenswirklichkeit von Kassy Krause und mit ihr von Patricia Eckermann. Zahlreiche Daten in Krauses fiktionaler Biografie, sind die Eckpunkte von Eckermanns realer Biografie.
„Als schwarze Frau stand ich auf der untersten Stufe aller Leitern in diesem Land. Meine Hautfarbe verfrachtete mich auf den ersten Anblick in die unterste Schublade, meine körperlichen Geschlechtsteile wiesen mir dazu die Buchstaben folge xyz zu. Mit anderen Worten: Bevor ich bekam, was ‚jedem‘ zustand, waren erstmal alle anderen an der Reihe.“
Die Schwermütigkeit dieser Ausgrenzungs- und Demütigungserfahrungen wird durch die allegorische Geister-Nazi-Geschichte durchbrochen und in einen unterhaltsamen Roman verpackt. Genreübliche Klischees von Geistergeschichten findet man hier kaum. Sicher, nicht alles ist neu zu denken. Aber es gibt eine Reihe witziger Details, die den Genreliebhaber zum Schmunzeln bringen. So man denn kein Purist ist. Auch der Erzählaufbau widersetzt sich an der ein oder anderen Stelle den Leseerwartungen, was ich als sehr angenehm empfunden habe. So wie die gesamte, kurzweilige Lektüre.
„Und wenn ich auf ihre Vorurteile aufmerksam machte, fühlten sie sich zu Unrecht als Rassisten gebrandmarkt. Dann drehten sie den Spieß um und warfen mir vor, dass ich bei dem Thema nicht objektiv war (als ob sie das wären!) und forderten, dass ich erstmal meine Emotionen in den Griff bekam, bevor ich von ihnen verlangte, sich mit meinen Vorwürfen auseinanderzusetzen. Ein typisch weißes Abwehrmuster, das auch heute noch von der Mehrheit der privilegierten Weißen benutzt wird.“
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Immer wieder vollkommen unaufdringlich und ohne erhobenen Zeigefinger wird die Binnenperspektive eines schwarzen Menschen in Deutschland, einer schwarzen Frau eingewoben. Ein antirassistisches Lehrstück, ein zutiefst humanistischer Roman in Gewande einer fantastischen Geistererzählung.