Cover des Buches Der Schrei der Eule (ISBN: 9783257238921)
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Rezension zu Der Schrei der Eule von Patricia Highsmith

Nicht Highsmiths bestes Buch

von katiandbooks vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Der Schrecken steht zunächst zwischen den Zeilen, wirkt dann jedoch zunehmend konstruiert

Rezension

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katiandbooksvor 6 Jahren

Hin und wieder beobachtet Robert nach Feierabend eine junge Frau durch ihr Küchenfenster und genießt die scheinbare Idylle, die sie und ihr Verlobter leben. Als sie ihn eines Tages erwischt, glaubt er, dass sie sofort die Polizei rufen wird, doch sie lädt ihn zu sich ein, und damit beginnt für Robert eine regelrechte Abwärtsspirale.


Man merkt schon zu Beginn sehr deutlich, dass dieser Roman bereits im Jahr 1962 in den USA zum ersten Mal erschienen ist und die Ereignisse auch in etwa zu dieser Zeit stattfinden. Die beiden männlichen Hauptpersonen, Robert und Greg, der Verlobte der jungen Frau, sind 29 und 28 Jahre alt, wirken aber aus heutiger Sicht sehr viel älter. Jenny, die weibliche Hauptfigur, wird jedoch trotz ihrer 23 Jahren ständig von den Männern als "Mädchen" bezeichnet, obwohl sie bereits ein eigenes Haus hat und eine gute Arbeitsstelle. Mit einer Frau ist man entweder sofort verlobt, wenn man Interesse an ihr hat oder trifft sich lieber gar nicht auf freundschaftlicher Basis mit ihr. Alles muss sofort in "ordentliche Verhältnisse" gebracht werden, und so heiratet Roberts Exfrau z. B. im Laufe des Romans bereits zum dritten Mal.


Wo sie gehen und stehen zünden sich sämtliche Charaktere erst einmal eine Zigarette an, etwas, das in heutigen Romanen ebenfalls so gut wie überhaupt nicht mehr erwähnt wird - eine Sache, die mir erst aufgefallen ist, als ich sie hier im Schrei der Eule auf gefühlt jeder zweiten Seite las.


Und so merkt man durch viele kleine und große Dinge, dass die Zeit, in der die Geschichte spielt, nicht aus dem heutigen Blickwinkel heraufbeschworen wurde, sondern authentisch ist.


Auch sehr schnell bemerkt man, dass Robert, der zu Beginn als Spanner (heute würde man natürlich Stalker sagen) vor Jennys Küchenfenster steht und somit ein paar zweifelhafte Gefühle beim Leser weckt, noch der "normalste" Charakter in dieser Geschichte ist. Durch den eigentlich harmlosen Fehler, den er mit seinen heimlichen Beobachtungen begeht, die (zu dieser Zeit) weder gesetzeswidrig sind, noch ihn auf sexueller Ebene anziehen, wird er immer tiefer in einen wahren Albtraum gezogen.


Leider steht Robert fast völlig aktionslos daneben und lässt alles mit sich geschehen. Selbst als um ihn herum die Menschen sterben und er dafür verantwortlich gemacht werden soll, bleibt er sehr passiv, verstrickt sich wegen Kleinigkeiten in Widersprüche und will Informationen nicht preisgeben, weil er ein Versprechen gegeben hat. Obwohl ihm das Ausmaß seiner Situation durchaus bewusst zu sein scheint, lässt er sich weiter wie eine Flipperkugel hin und her schießen. Das machte ihn für mich leider sehr unsympathisch, überhaupt mochte ich keine der Figuren, trotzdem hat es die Autorin geschafft, meinen Gerechtigkeitssinn in sofern anzusprechen, dass ich daran interessiert war, wie es für Robert ausgeht und sogar gehofft habe, dass er ein Happy End bekommt.


Der Schrecken, der zunächst zwischen den Zeilen steht, wird ab etwa der Hälfte zunehmend realer und aufdringlicher - und wirkt auch mehr und mehr konstruiert. Jede Kleinigkeit, die Robert widerfährt, fliegt ihm postwendend nach kurzer Zeit um die Ohren. Dazu kommt noch die Detailverliebtheit der Autorin in manchen Szenen, in denen jeder Handgriff der Charaktere beschrieben wird und ich mich bei jeder Kleinigkeit fragte: "Trägt das zerbrochene Cognacglas jetzt zur Atmosphäre bei oder schlitzt sich damit demnächst noch jemand unabsichtlich die Pulsadern auf?" Dass in einem Thriller, wenn man Der Schrei der Eule denn als solchen bezeichnen will, nichts ohne Grund passiert, ist klar, doch es sollte für den Leser so gemacht sein, dass er es erst bemerkt, wenn das Zahnrädchen einrastet.


Zusätzlich ergaben sich durch die teilweise sehr detaillierten Beschreibungen im Tun der Figuren Längen, obwohl ich nicht finde, dass irgendeine Szene im Buch überflüssig gewesen wäre.


Fazit: Ich empfinde den Schrei der Eule nicht als Patricia Highsmiths bestes Buch. Einiges wurde zu lang gezogen und in der zweiten Hälfte wirkten die Ereignisse zunehmend konstruiert. Die Charaktere waren mir allesamt äußerst unsympathisch, der Hauptcharakter blieb komplett passiv und schien sich nicht einmal für sein Schicksal zu interessieren, trotzdem habe ich ihm ein gutes Ende gewünscht. Insgesamt konnte mich der Roman nicht ganz überzeugen, bekommt aber gute 3*** von mir.

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