Cover des Buches Ich bin niemand (ISBN: 9783896675781)
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Rezension zu Ich bin niemand von Patrick Flanery

Big Brother

von Buecherschmaus vor 7 Jahren

Rezension

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Buecherschmausvor 7 Jahren

Seit Präsident Trumps Amtsantritt führen altbekannte Dystopien die Bestsellerlisten an: George Orwells „1984“, Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“, Sinclair Lewis „Das ist bei uns nicht möglich“. Gerade auch das Thema Überwachung, Gedankenfreiheit, Wahrheit scheint die Menschen umzutreiben. Dabei waren wir gerade dabei, uns an ständig steigende Überwachung, zunehmende digitale Kontrolle und Cyberkriminalität zu gewöhnen. In schleichenden Dosen wurden Hackerangriffe, Daten- und Identitätsklau und Bespitzelung zu zwar gefürchteten, aber mehr oder weniger unabwendbaren Begleiterscheinungen unserer digitalisierten Gegenwart. Man kann schon leicht paranoid werden, wenn man mit Zugriffen über die eigene Webcam oder die Überwachung von Bewegungsprofilen denkt.
Auch der Protagonist von Patrick Flanerys Roman „Ich bin Niemand“ fürchtet zunehmend, unter Paranoia zu leiden. Zunächst ist es eine nicht eingehaltene Verabredung mit einer seiner Studentinnen, die den Geschichtsprofessor Jeremy O´Keefe verstört. Denn anscheinend hat er selbst diese Verabredung per email abgesagt, kann sich aber partout nicht daran erinnern. Das ist aber nur der Anfang einer Reihe von seltsamen Vorgängen, die ihn und seine Familie zunehmend verunsichern. Doch ärztliche Untersuchungen geben keinerlei Hinweis auf Demenz oder andere psychische Erkrankungen. Nur ganz allmählich kommt Jeremy der Verdacht, dass seine Vergangenheit der Schlüssel zu allem ist. Nur zögerlich nähert er sich seinen zehn Jahren als Professor in Oxford, in das er 2001 quasi geflohen ist, nachdem seine Ehe zerbrochen und seine befristete Anstellung an der Columbia University nicht verlängert wurde. In Oxford hatte er Kontakt zu einem zwielichtigen Kollegen, der scheinbar als Agent tätig gewesen war, und zu einer ägyptischen Studentin, deren Bruder in islamistischen Kreisen verkehrte.
Die Bedrohung durch allumfassende persönliche Überwachung in digitalisierten Zeiten ist genauso ein Thema wie die wachsende Angst vor dem Terror und die befürchtete Bedrohung durch muslimische Mitbürger – brandaktuelle Themen also. Genauso beschäftigt sich der Roman aber mit Verdrängung und Erinnern.
Das von Flanery gewählte Erzähltempo ist niedrig. Dadurch nimmt er dem Roman die Möglichkeit, durch Rasanz zu fesseln, erhöht aber die Ernsthaftigkeit und Genauigkeit, mit der er sich seinen Themen annimmt. Erzählt wird in einer Art Beichte O´Keefes, die an ein nicht näher gefasstes Publikum gerichtet ist. Er spricht diese hin und wieder an, „wer immer dies auch lesen wird“, greift vor, deutet an. Größtenteils gelingt es dem Autor, seinen Leser dadurch zu fesseln. Nur der Protagonist Jeremy bleibt trotz der Ich-Perspektive und der Tatsache, dass er der Mittelpunkt der Geschichte ist, seltsam blass, wie übrigens auch das restliche Personal. Dass er zufällig als Spezialist für die Stasi-Vergangenheit der einstigen DDR praktisch Spezialist in Sachen Überwachung und Bespitzelung ist, erscheint zudem nicht gerade glaubwürdig. Das ist ein wenig schade, enthält der Roman doch so manche interessante Gedanken und verhandelt ein spannendes Thema.

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