Rezension zu "Die Abschaffung des Zufalls" von Patrick McGuinness
Der Ich-Erzähler, gerade mal Anfang 20, zieht Mitte April des Jahres 1989 von England nach Bukarest und tritt dort eine Stelle an der Universität an, für die er sich nicht explizit vorgestellt hat. Er bezieht die Wohnung eines gewissen Dr. F. Belanger, der überstürzt abgereist zu sein scheint und ihm einen kompletten Hausstand nebst abgelegter Kleidung zurückgelassen hat. Er freundet sich bald mit Leo an, schon ein paar Jahre in der Stadt, auch Ausländer und der mit ihm an der Uni zusammen arbeitet. Wie zufällig lernt er Cilea, die Tochter eines Ministers kennen, mit der ihn ein sexuelle Liaison verbindet. Doch kann er ihnen trauen? Im Überwachungsstaat stellt er bald fest, dass es nicht so einfach zu erkennen ist, wer Freund, wer Feind ist. Außerdem findet er heraus, dass Cilea mit Belanger zusammen war. Was hat das zu bedeuten? Vor allem durch die Unterstützung Leos bekommt er schon bald einen tiefen Einblick, wie der Macht- und Korruptionsapparat in Rumänien funktioniert und wie man sich bestmöglich sein alltägliches Leben organisiert.
Gut eine halbes Jahr vor dem Zusammenbruch des Regimes lernt der Ich-Erzähler die unterschiedlichen Gesichter einer Stadt kennen, die Stück für Stück vom Erneuerungswahn der Führungsriege zerstört wird. Stadtteil nach Stadtteil wird dem Erdboden gleich gemacht, damit neue Prachtbauen oder billige Wohnblocks entstehen können. Während der größte Teil der Bevölkerung hungert bzw. wenigstens Schwierigkeiten hat, die Grundnahrungsmittel zu beschaffen, schlagen sich die Parteifunktionäre, aber auch Ausländer in speziellen Restaurants die Mägen mit internationalen Köstlichkeiten voll.
Über 22 Jahre (seit Erscheinen des Romans) liegt der Zusammenbruch des Regimes der Ceausescus zurück, aber ich kann mich noch gut an die Fernsehbilder des hingerichteten Diktatorenpaares erinnern. In der damaligen Zeit des Umbruchs im Osten war es für mich nur eine von vielen Randnotizen einer sich grundsätzlich wandelnden Welt in Europa. Das Buch bietet die Möglichkeit, nochmals tiefergehend zurück zu schauen. Man erfährt etwas über die Zeit vor und während der Revolte.
In einem gut konstruierten, recht verzweigten Handlungsverlauf bietet der Ich-Erzähler eine sichere Orientierungsbank. Viele interessante Personen werden in der Ablauf mit hinein verwoben, der vordergründig ideologie-geheilte Ex-Oberkommunist Trofim, der an zwei Versionen seiner Biografie schreibt, der Weltverbesserer Petre, der ein Parallel-Unterstützungs-System aufzubauen versucht und Fluchten organisiert, seine Halbschwester , die in einem Krankenhaus die hoffnungslose Stellung zu halten versucht, der schmierige Diplomat der britischen Botschaft Wintersmith und viele mehr. Die verschiedenen Stränge sind aber so geschickt ineinander verschachtelt, dass der Roman nicht überladen wirkt, sondern jeder neue Aspekt ein neues Puzzleteil für die Gesamtschau bereitstellt.
Eine gelungene Mischung aus Thriller, Liebesgeschichte und Zeitgeschehen.
Fazit: Man wird in die spannende Geschichte regelrecht hineingezogen. Von meiner Seite sehr zu empfehlen.