Nach Mission Herodes legt Patrick Ullrich den zweiten Teil seiner Tetralogie „Die vier Reiche“ vor. Erschienen sind „Die Legaten“ am 01.01.2014, erhältlich ist der Titel zurzeit als E-Book. Eine Leseprobe aus dem dritten Band „Barbarossas Fluch“ im Anhang schafft für die Leser erfreuliche Kontinuität. Wir wissen, dass es weiter geht!
Nachdem Mission Herodes sich in erster Linie um die Magier Thules, den alten Wenduul und seine Ziehtochter Moriane drehte, ist der zweite Band wie der Titel schon ankündigt, die Geschichte der Legaten, der mächtigen Gesandten der Menschen, Elfen, Zwerge und Orks. In ihrer Welt sind sie die Vermittler zwischen den vier Reichen und die Garanten des Völkerbundes.
Die Geschichte beginnt mit der spektakulär inszenierten Ankunft einer Delegation aus Thule, bestehend aus den Legaten, Moriane und einem weitere Menschen in der Wevelsburg der Nazis. Die Leser erfahren, dass die Nazis durch ihre Mystiker (!) mit den „alten Mächten Thules“ in Verbindung getreten sind, um deren Magie zu nutzen. Auf diesen grandiosen Auftakt folgt die unmittelbare Vorgeschichte des Zusammentreffens.
Nach mysteriösen Mordversuchen und einem Selbstmord, wird eine geheimnisvolle Kraftquelle in der Welt der vier Reiche entdeckt, die offensichtlich in der Lage ist, Lebewesen für ihre Zwecke zu missbrauchen. Abgesehen hat es diese Magie offensichtlich auf die Legaten. Diese werden zusammen mit Moriane entführt, womit der dramatische Höhepunkt vorbereitet wird. Hinter der Aktion steht ein Anführer aus dem Orden der Eugenier. (Interessant ist die Anlage dieser Figur. Brandulf ist innerhalb der ohnehin schon extremistischen Gruppe Anführer eines kleinen ultra-fanatischen Flügels und begnadet in der Kunst der Manipulation.)
Die Befreiung gelingt nur durch den Aufmarsch einer vereinigten Streitmacht. Eine Reise in die Parallelwelt, in das Deutschland des Jahres 1939, wird erforderlich, um sich den entfesselten Kräften, die am Wirken sind, zu stellen.
Natürlich geht es auch in diesem Band um den uralten Kampf zwischen Gut und Böse. Allerdings wird die allegorische Auseinandersetzung noch deutlicher als in „Mission Herodes“ mit dem alltäglichen Leben von Menschen, in beiden Welten, und ihnen vergleichbaren Wesen, in der Welt der vier Reiche, verknüpft. Gut und Böse sind nicht getrennte metaphysische Blöcke, eher Energien, die wirken oder auch nicht. Vor allem aber liegt es bei jedem selbst, gleich welcher Spezis, wie er oder sie sich entscheidet. Gut und Böse sind zwei Seiten einer Medaille, bilden erst zusammen ein Ganzes. Wie sie sich zueinander verhalten, verändert sich permanent, ist ständig im Fluss, fügt sich immer wieder neu. Dabei spielt die Freiheit der Entscheidung eine große Rolle. Was hilft in diesem permanenten Ringen, ist das Erfahren und Erleben von Freundschaft und Liebe. Dazu gehört die Bereitschaft, sich seinen Schwächen zu stellen, die Leichen im eigenen Keller hervorzukramen. Die Teilnehmer der Delegation, die Legaten, Moriane und der geläuterte Entführer Lohendaal machen alle eine heftige Phase der Selbsterfahrung durch, bevor sie sich auf die gewagte Mission begeben können. Neben dem äußeren Drama entlang der Entführung, der großen Schlacht und der Reise in die Parallelwelt, sind die inneren Dramen der beteiligten Charaktere zentrale Handlungsstränge.
Wie setzt man so etwas um, noch dazu in einem aufwendigen Fantasy-Epos?
Damit das gelingt, muss der Autor es zunächst einmal schaffen, eine komplexe und komplizierte Geschichte deutlich und klar zu erzählen. Das gilt natürlich für alle vielschichtigen Geschichten, gleichgültig, ob es sich um Fantasy oder ein anderes Genre handelt. Dazu gehört eine gründliche Recherche und die minutiöse Beschreibung von Zusammenhängen, die nicht so ohne weiteres im individuellen Kopfkino ergänzt werden können. Wenn das fehlt, gibt es Chaos. Ich für meinen Teil beende dann die Lektüre. Die Handlungsstränge in den Legaten nachzuvollziehen, erfordert einige Konzentration, das Geschehen ist vielschichtig, es geht rasant voran, an einigen Stellen ist es fast zu viel, aber es wird nie chaotisch. Logische Brüche habe ich nicht entdeckt. Hut ab vor der Lektorin!
Dass Ullrich eine weitere spannende Etappe in seinem Fantasy-Epos vorgelegt hat, wurde schon so oft geschrieben, dass ich darauf nicht mehr eingehen möchte. Was mich vor allem beeindruckt hat, ist die Anlage der Figuren. Damit meine ich auch deren „psychologische Tiefe“, worüber ich mich aber schon in der Rezension für Mission Herodes ausgelassen habe. Gelungen ist auch die Skizzierung der nationalsozialistischen Akteure, aber an dieser Stelle möchte ich etwas ausführlicher auf die fantastischen Gestalten eingehen. Diese Charaktere sind auch deshalb so atemberaubend, weil sie aufregende Facetten aufweisen. Ein guter Teil des Fantastisch-Mystischen in dem Genre entstammt ja unserer Welt der Mythen und Sagen. Anleihen bei fremden Kulturen, vorzugsweise bei denen, die von den westlichen sehr weit entfernt sind, kommen gut. Das kann man machen, wenn man sich auskennt, also wieder gründlich recherchiert hat und das „Abmischen“ beherrscht. Patrick Ullrich ist das gelungen. Besonders fasziniert bin ich von GulUraka, der Herrscherin der Orks. Sie ist Matriarchin und Schamanin, immer verbunden mit der geistigen Welt, ihre Macht entstammt der Kraft der Erde. Umgeben ist sie von der Gruppe der jungen GulBaki Dan. Zwischen der Herrscherin und ihren Bewacherinnen besteht eine intensive spirituelle Verbindung. Die starke Figur lässt an frühe Kulturen, starke Frauen, Amazonen, Schamanen, Göttinnen usw. denken, überzeugt völlig und jagt einem Schauer über den Rücken. (Interessant ist, dass die Sprache der Orks zu den sogenannten Klassensprachen zu gehören scheint. Diese werden in weiten Teilen Afrikas gesprochen. Durch eine festgelegte Vorsilbe werden Dinge, Lebewesen und Abstrakta bestimmten Kategorien zugeordnet, eine faszinierende Art, die Welt zu ordnen, so ganz anders als das Kategoriensystem der Sprachen aus der indogermanischen Sprachenfamilie.)
Aufregend ist natürlich auch, dass alle Handlungsstränge am Ende noch mal in einem Göttlichen Drama enden, bei dem mir Dantes Inferno in den Sinn kam.
Die Sprache ist gewohnt facettenreich und genau. Ullrich beschreibt Verhaltensweisen von Personen, Alltagsszenen wie auch die komplexe Logistik einer großen Schlacht ebenso gründlich wie kurzweilig. An den Inhalt angepasst, ist die Sprache, nicht nur in den Dialogen, häufig etwas altmodisch angehaucht, irgendwie frühmittelalterlich und opulent. Mitunter wird es arg verschachtelt. Es ist dann nicht so ganz einfach, die Syntax mit den gängigen Rechtschreibregeln in Einklang zu bringen. Mit etwas weniger sprachlichen „Verzwirbelungen“ wäre ich ausgekommen. Auch ist im Vergleich zu „Mission Herodes“ die rein formale Bearbeitung, womit ich solch grundlegende Dinge wie Rechtschreibung, Interpunktion und Grammatik meine, schlechter. Das hat mich irritiert.
Herausragend sind die „privaten“ Dialoge der Legaten und ihrer Mitstreiter. Am Ende formt sich zwischen Legaten, Moriane, dem Baumgeist, der GulBaki und dem jungen menschlichen Knappen Phil Tammer eine innige Gemeinschaft. Diese Entwicklung erlebt der Leser in erster Linie durch die Dialoge. Eine gehörige Portion Humor und Situationskomik fehlen dabei nicht. Bei der ersten Begegnung zwischen dem furchterregenden Ork Terek mit dem jungen Phil zittert letzterer am ganzen Leib. Am Ende unterbricht er gut gelaunt das Liebesspiel von Terek und seiner GulBaki.
Ich kann nur wiederholen, was schon häufig gesagt wurde. Freunde anspruchsvoller Fantasie, die sich außerdem an einer fließenden Sprache erfreuen, und die Verknüpfung von Fantasy und jüngerer Geschichte nicht scheuen, kommen auf ihre Kosten. Wer sich für Mythologie, Germanen, Kelten, Psychologie sowie Religions- und Kulturwissenschaften interessiert, wird sich wohlfühlen.
Cover und Zeichnungen sind gelungen. Ich wiederhole mich, aber mit Absicht: Hut ab vor der Lektorin. Die fehlenden Korrekturen sind ein Minuspunkt, der sich aber nicht allzu stark auswirkt angesichts der Gesamtleistung. Die Geschichte, ihre Inszenierung, die vielfältigen Bezüge nach allen Richtungen und vor allem die Charaktere und Dialoge überzeugen. Außerdem kann man Ullrich auch nicht nur mit Ullrich vergleichen, sondern muss einen Blick auf andere Werke des Genre werfen. Weniger als fünf Sterne kann ich nicht vergeben und „Barbarossas Fluch“ will ich lesen!