Rezension zu "Voss" von Patrick White
Johann Ulrich Voß (der lose auf einer historischen Figur, dem preußischen Entdecker Ludwig Leichardt basiert) ist ein deutscher Abenteurer und Forscher, der nach Sidney gekommen ist, um von dort aus Australien zu durchqueren. Von Ost nach West durch unbekanntes Terrain, denn wir schreiben das Jahr 1846. Er meldet sich in Sidney bei dem Patron der Expedition, der allerdings zu diesem Zeitpunkt in der Kirche ist – nur seine Nichte Laura Trevelyan trifft er an, die sich vor dem Kirchenbesuch gedrückt hat – eine schicksalshafte Begegnung.
„Voß aber hatte zum Kampf mit der Zukunft angesetzt. Er rechnete bei diesem Unternehmen nicht auf Liebe, denn alles Zarte und Hingebungsvolle ist leicht verletzlich. Er mißtraute der Liebe; die Minerale hingegen waren unzerstörbare Wunder. Feldspat, zum Beispiel, war bewundernswert, schon der Name war wie ein Edelstein im Mund. Wenn er einem Landstrich diesen Namen geben würde, unwiderruflich, selbst wenn sein Körper von dem verschlungen werden sollte, was er so benannte, so mußte es ein wüster Ort sein, eine reine Abstraktion, die in der Nachwelt keine zärtlichen Gefühle weckte. Er hatte nach sentimentaler Bewunderung ebensowenig Verlangen wie nach Liebe. Er war vollkommen.“ (Leseprobe aus der deutschen Ausgabe, ich hatte das englische Original und fand viele Passagen toll, doch ich habe hier eine aus den ersten Seiten gewählt).
Und da täuscht Voß sich. Denn er ist nicht vollkommen. Vor seiner Abreise trifft er Laura noch mehrmals, wenngleich kurz, beide machen so nachhaltig Eindruck aufeinander, dass sie für immer miteinander verbunden sind – auch wenn Voß wenige Tage später zu der gefährlichen Expedition aufbricht und sie zumindest physisch voneinander getrennt werden.
Hier hatte mich der Roman schon, oh wie ich diese nachhaltigen Begegnungen zwischen zwei Menschen liebe, die spontan tiefe Gefühle und tiefsinnige Gedanken austauschen – so anders als das „Unn, was machst du so beruflich?“ der Realität.
Voß ist selbst ein wenig zerrissen zwischen seiner Ambition, dem Projekt, Australien zu durchqueren und seiner Liebe für Laura, der er in einem letzten Brief einen Heiratsantrag macht. Doch er glaubt fest daran, dass diese Liebe Bestand hat. Von hier an verfolgen wir das Schicksal der beiden getrennt, aber doch verbunden durch ihre Gedanken und durch die Briefe, die sie sich gegenseitig schreiben, auch wenn sie nicht zugestellt werden können. Die Liebe nährt sich von Glauben, der Hoffnung und der Sehnsucht nach dem anderen und wird so nur stärker.
Zwei Themen, die sich neben der Liebe durch das Buch ziehen, sind Religion und Kolonialismus. Mit letzterem setzt White sich insofern kritisch auseinander, als dass er das Thema Freundschaft mit seinen Expeditionskollegen, aber auch mit der indigenen Bevölkerung aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Voss ist als Deutscher dabei ja selbst ein Außenseiter, der sich deutlich von der australischen Aristokratie absetzt und von ihr als merkwürdiger Fremder wahrgenommen wird.
White, der im Jahr 1973 als bislang einziger australischer Autor den Literaturnobelpreis erhalten hat, ist ein religiöser Autor. Das Thema Glauben spielt eine zentrale Rolle, nicht nur für die handelnden Personen, die sich auf der religiösen Sinnsuche befinden, sondern es ist auch voller religiöser Symbolik, unter denen der Marsch durch die Wüste wohl nur das auffälligste Bild ist. Das macht den Roman interessant, aber für mich auch ein bisschen sperrig, da ich wenig vertraut mit christlicher Mystik bin.
Zusammenfassend: Ich finde den Roman tief berührend und beeindruckend, ich habe einen ganzen Stapel an Haftnotizen verbraucht, um Worte, Stellen und Passagen zu markieren, die mich berührt haben oder die ich lohnenswert fand, um weiter darüber nachzudenken. Eine leichte Lektüre über eine Expedition durch die Wüste ist es aber nicht. Hier ein Beispiel für eine Stelle, die ich interessant fand (ich habe leider keine deutsche Ausgabe zur Hand): „.. deprivation and distance had lessened their desire for food. It was foreign to their wizened stomachs. They preferred to eat dreams, but did not grow fat on these, quite the reverse.“ (334).
Wem könnte es gefallen? Das ist nun wirklich schwierig zu sagen. Ich kenne kein Buch, das ähnlich ist. Es ist natürlich (auch wenn es hundert Jahre später verfasst wurde) ein Roman, der in viktorianischer Zeit spielt. Man sollte also keine Abneigung gegen Romane aus dem 19. Jahrhundert haben.
Wem könnte es nicht gefallen? Alle, die gern einen flotten Gang durch die Wüste mit Durst, Schlangen, Skorpionen, feindlicher indigener Bevölkerung haben und sich nicht weiter mit den Themen beschäftigen möchten.