Rezension zu "Philip II" von Patrick Williams
Wer sich im Rahmen eines Geschichtsstudiums oder als Fachhistoriker näher mit Philipp II. von Spanien beschäftigen möchte, der ist mit Patrick Williams' Buch sehr gut bedient. Wie alle Bände der Reihe "European History in Perspective" richtet sich das Buch an Studierende und Wissenschaftler, weniger an Leser jenseits der Wissenschaft. Reizvoll ist ein Vergleich von Williams' Buch mit der Biographie von Geoffrey Parker, die nach ihrer Erstveröffentlichung 1978 rasch zum englischsprachigen Standardwerk über Philipp II. avancierte und 2002 ein viertes Mal aufgelegt wurde, ein Jahr nach Erscheinen von Williams' Biographie. Parkers Buch ist erzählend und anekdotisch angelegt. Williams' Buch nimmt sich hingegen nüchtern und etwas spröde aus. Williams konzentriert sich ganz auf Philipp als Herrscher, während Privatleben und musische Interessen des Königs nur gestreift werden. Im Gegensatz zu Parker hat Williams wenig Gebrauch von den persönlichen Papieren Philipps II. gemacht, die zu Tausenden erhalten geblieben sind. Der König kommt nur ganz selten selbst zu Wort. Zitate aus Briefen und sonstigen Unterlagen Philipps II. verleihen Parkers Buch eine große Lebendigkeit und Anschaulichkeit. Diese Eigenschaft fehlt Williams' Biographie. Das ist aber kein Manko. Williams besticht durch die systematische Behandlung aller Aspekte und Themen, die für die Herrschaft Philipps II. relevant sind. Von besonderem Wert sind die Informationen über Entwicklung und Arbeitsweise der spanischen Regierungsbehörden unter Philipp II. Die beiden Autoren nähern sich dem König auf unterschiedlichen Wegen, was vollkommen legitim ist, und ihre Bücher ergänzen einander vortrefflich. Zu beanstanden gibt es an Williams' Buch nur zweierlei: Es fehlt eine Bibliographie, und in mehreren Kapiteln tauchen viele unwichtige Nebenfiguren auf (z.B. Amtsträger im Dienst der spanischen Krone), die nicht unbedingt namentlich hätten genannt werden müssen.
Während Parker Philipp II. als Menschen und Herrscher zeigt, der im Laufe seiner langen Regierung immer wieder Phasen der Entmutigung und Resignation durchlebte, entwirft Williams das Bild eines überaus energischen, tatkräftigen und zielstrebigen Königs, dem Selbstzweifel fremd waren. In diesem Punkt unterscheiden sich die beiden Darstellungen spürbar. Wie Williams zeigt, verfolgte Philipp II. über vier Jahrzehnte hinweg rastlos und unbeirrbar zwei große Ziele: Zum einen wollte er das von seinem Vater Karl V. geerbte Konglomerat von Königreichen und Herrschaftsgebieten (Spanien, Süditalien, Niederlande) ungeschmälert erhalten, auch wenn damit enorme logistische und organisatorische Schwierigkeiten verbunden waren. Zum anderen setzte Philipp II. die Politik seines Vaters auf dreierlei Gebieten fort: Kampf gegen die Häresie (vor allem in Spanien selbst); Abwehr der osmanischen Expansion im westlichen Mittelmeerraum; Schwächung des Rivalen Frankreich. Mit der Zeit kamen neue Herausforderungen dazu, etwa der Konflikt mit England. Philipp betrieb eine ambitionierte und kostspielige Großmachtpolitik, die langfristig nicht durchzuhalten war. Die permanente Überbeanspruchung aller Kräfte führte nach seinem Tod zum schleichenden Niedergang Spaniens als Großmacht. Williams arbeitet heraus, dass Philipp II. durch den Zustrom amerikanischen Silbers dazu verleitet wurde, eine offensive Außenpolitik zu betreiben und sich auf mehreren Schauplätzen gleichzeitig militärisch zu engagieren. Nach der Konsolidierung der spanischen Kolonialherrschaft in Mittel- und Südamerika gelangten in den 1570er und 1580er Jahren riesige Mengen Silber nach Spanien. Paradoxerweise vermochte es Philipp II. nicht, seine finanzielle Überlegenheit in militärische Siege über seine Gegner umzumünzen. Am Ende seines Lebens stand er vor einem Scherbenhaufen: England war nicht in die Knie gezwungen worden; Frankreich fand den Ausweg aus jahrzehntelangen Religionskriegen; der Abfall der nördlichen Niederlande ließ sich nicht rückgängig machen. In der Geschichte der europäischen Großmachtpolitik hat ein derart verschwenderischer Einsatz menschlicher und finanzieller Ressourcen selten zu solch dürftigen Ergebnissen geführt.
Als Philipp II. im September 1598 auf dem Sterbebett lag, ließ er sich das Kreuz bringen, das vierzig Jahre zuvor sein Vater Karl V. in der Todesstunde in den Händen gehalten hatte. Das sagt viel über Philipp als Menschen und König aus. Zeitlebens blieb Philipp der treue, folgsame und pietätvolle Sohn des großen Kaisers. Er strebte nie danach, sich von seinem Vater abzugrenzen; es kam ihm nie in den Sinn, die Innen- und Außenpolitik der spanischen Monarchie in andere Bahnen zu lenken. Er fühlte sich verpflichtet, ein Werk fortzusetzen, an dem sich schon Karl V. aufgerieben hatte. Philipp II. war der Gefangene seines Erbes. Die Aufgabe, die Länder der spanischen Monarchie in Europa und Übersee zusammenzuhalten, kam der Quadratur des Kreises gleich. Philipp glich einem Jongleur, der mit zu vielen Bällen jonglieren musste. Seine Prinzipientreue grenzte an Starrsinn. Er lebte und regierte länger, als es für Spanien und die Spanier gut war. Bis zum bitteren Ende klammerte er sich an die Macht. Eine Abdankung nach dem Vorbild des Vaters kam für ihn nicht in Frage. Nur keine Schwäche zeigen! Williams hat Recht: Philipp II. hätte als großer König in die Geschichte eingehen können, wenn er um 1580 gestorben wäre, vor den Rückschlägen seiner späten Regierungsjahre, bevor seine Politik Spanien in die Krise stürzte. Sein Tod war eine Befreiung für Spanien und Europa. Die Spannung zwischen frühen Triumphen (Lepanto) und späten Niederlagen (Armada) verleiht der langen Herrschaft Philipps II. tragische Züge. Darin liegt die Faszination begründet, die bis heute von diesem König ausgeht. Patrick Williams zeichnet zwar ein weniger vielschichtiges Bild von Philipps Persönlichkeit als Geoffrey Parker, aber dennoch verdient sein Buch die Aufmerksamkeit all derer, die sich für die Geschichte Spaniens im 16. Jahrhundert interessieren.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Mai 2016 bei Amazon gepostet)