4 3 2 1 wurde 2017 auf deutsch veröffentlicht und ist Paul Austers Opus magnum. In diesem über 1200 Seiten langen Roman stellt Auster vier verschiedenen ablaufende Leben ein und derselben Person vor, nämlich die Leben des Archie Ferguson.
Die einzelnen Versionen von Archies Leben werden dabei in zeitliche Abschnitte unterteilt, von der Kindheit bis zum jungen Erwachsenenalter, also circa bis zum Ende des Studiums.
Es sind nicht nur die Entscheidungen Archies sondern auch die Entscheidungen seiner Mitmenschen und deren Handlungen, die Zufälle und Schicksale, die deren Leben bestimmen, die die jeweils andere Version von Archies Leben entstehen lassen und vorantreiben.
Es gibt einige zentrale Figuren, wie natürlich seine Eltern, Freunde und Verwandte, die sich in allen Varianten von Archies Leben wiederfinden. Aber auch hier ändert sich, je nach Vergangenheit und Ereignissen, der Umgang miteinander. Diesen Entwicklungen zu folgen ist dabei nicht immer einfach, 4 3 2 1 ist kein Werk, das man zwischendurch liest. Wer aber durchhält, und dazu kann ich nur jedem raten, wird mit einer bzw. vier Geschichten belohnt, die sich intensiv mit der Frage nach Schicksal, nach Zufall und der Selbstbestimmtheit unseres Lebens auseinandersetzen.
Austers Sprachgewalt ist dabei beeindruckend. Manche Sätze gehen über mehrere Seiten, sind dabei aber nicht langatmig und treiben die umfangreiche Handlung weiter voran. Die Dialoge sind pointiert und genau, jede Figur wird auf ihre Weise durch ihre Tätigkeiten und ihre Sprache unverwechselbar.
Neben den zentralen Fragen des Romans, Schicksal und Zufall und die Konsequenzen unserer Entscheidungen, findet sich hier auch ein Ritt durch die amerikanische Nachkriegsgeschichte, vor allem durch die Veränderungen der Gesellschaft der USA in den 1960er Jahren. Eine Auseinandersetzung mit den Studentenprotesten, mit dem Vietnam Krieg, mit Baseball und Basketball, mit Literatur, nicht zuletzt mit der Sexualität.
Austers Werk hat mich tief beeindruckt. Seine Sprachgewalt, seine Auseinandersetzung mit den zentralen Fragen des Schicksals und des Zufalls sowie die umfangreiche Darstellung so vieler Themen - Geschichte, Politik, Sport, Literatur und viele mehr - machen 4 3 2 1 für mich zu einem Roman, den Liebhaber anspruchsvoller Literatur gelesen haben müssen.
Paul Auster
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Das Buch der Illusionen
4 3 2 1
Neue Rezensionen zu Paul Auster
August Brill, 72-jähriger Literaturkritiker, lebt nach einem Autounfall, der eine Gehbehinderung verursacht hat, unter einem Dach mit seiner Tochter, allein nach Scheidung, und seiner Enkelin, deren Lebensgefährte ums Leben gekommen ist. Schlaflos quält er sich durch die einsamen Nächte, in Gedanken oft bei seiner verstorbenen Frau Sonia, und ersinnt eine alternative Welt in seinem Kopf. Ein anderes Amerika, in dem nach politischen Zerwürfnissen im Jahr 2000 ein Bürgerkrieg herrscht und in dem ein Mann aus der echte Welt landet, um den Auftrag zu erhalten, ihn, Brill, zu ermorden, da seine Fantasie der Ursprung des Krieges und der damit verbundenen vielen Toten sei. Das ist eine starke Idee, die an sich ja viele hundert Seiten füllen könnte. Unterm Strich läuft dieser Handlungsstrang aber irgendwie ein wenig ins Leere.
Spannender fand ich daher die Stellen, in denen Episoden aus Brills Leben beschrieben werden, da die Figuren dadurch greifbarer werden.
Die Spaltung und die Zerwürfnisse, die Brills USA in einen Bürgerkrieg stürzen, haben bei der Lektüre angesichts der aktuellen politischen Lage einen Beigeschmack, soviel steht fest. Das Buch überzeugt mich vor allem durch seine bedrückende Atmosphäre; nicht selten ist es ja auch einfach dunkel, während man als Leser den Gedanken des Protagonisten folgt, wie schon der Titel nahelegt. Eine echte Handlung gibt es dafür nicht bzw. die Handlung ist sehr reduziert. Für mich war das Buch auch wegen der zwei sehr grausamen Stellen (i.V.m. 2.Weltkrieg und Terrorismus) schwer zu lesen, aber insgesamt hat es sich gelohnt, sich auf diesen nicht gar so leichten Text einzulassen.
Mit 4 3 2 1 legt Paul Auster ein beeindruckendes literarisches Werk vor, das gleichermaßen als Coming-of-Age-Roman, intellektuelle Zeitreise und poetische Reflexion über Identität und Zufall gelesen werden kann. Es ist ein Roman von epischem Ausmaß – sowohl im Umfang als auch im Anspruch – und für Leserinnen und Leser, die sich auf seine Komplexität einlassen, ein echtes Erlebnis.
Vier Leben, ein Ich
Im Zentrum steht Archibald Isaac Ferguson, geboren 1947 – und zwar viermal. Auster erzählt nicht eine Geschichte, sondern vier Varianten desselben Lebens. Mit einem kleinen Einschlag des Zufalls an einem frühen Punkt verzweigen sich Fergusons Lebenswege und nehmen sehr unterschiedliche Wendungen. Mal wächst er wohlbehütet auf, mal in zerrütteten Verhältnissen. Mal wird er Sportler, mal politischer Aktivist, Journalist oder Schriftsteller. Doch so unterschiedlich seine Lebensläufe auch sind – in allen bleibt er Ferguson, ein Suchender, ein Beobachter, ein Denker.
Diese Struktur ist zugleich das formale Herzstück und die größte Herausforderung des Romans. Auster verzichtet auf künstliche Abgrenzungen, nummeriert die Kapitel schlicht mit den jeweiligen Lebensnummern (1.1, 1.2, 1.3, 1.4 usw.), sodass der Leser immer wieder zwischen den vier Biografien springt. Das erfordert Aufmerksamkeit und Geduld – doch wird man mit einem tiefen Verständnis für die Variabilität menschlicher Erfahrung belohnt.
Ein Buch mit Gehalt
Was 4 3 2 1 so besonders macht, ist nicht allein die erzählerische Konstruktion, sondern die geistige Dichte, die Auster entfaltet. Der Roman ist gesättigt mit Literatur, Musik, Philosophie, Politik und Geschichte – eine wahre Zeitkapsel des 20. Jahrhunderts, insbesondere der 60er Jahre in den USA. Der Vietnamkrieg, die Bürgerrechtsbewegung, Studentenproteste, der Tod von Kennedy – all das durchdringt Fergusons Welten und formt ihn auf unterschiedliche Weise.
Auster gelingt es dabei, große Themen wie Schicksal, Identität, Erinnerung und Moral in die ganz persönlichen Geschichten eines jungen Mannes zu verweben. Es ist ein Buch, das sich nicht in schnellen Wendungen oder billigen Überraschungen erschöpft, sondern sich langsam entfaltet – nachdenklich, tiefgründig, oft melancholisch, manchmal wütend, stets voller Leben.
Sprachlich meisterhaft
Auch sprachlich ist der Roman ein Genuss. Auster schreibt mit großer Klarheit, Tiefe und Eleganz. Selbst in den langen, verschachtelten Sätzen bleibt die Sprache präzise und durchdacht. Die Erzählstimme ist gleichzeitig distanziert und einfühlsam, sie beobachtet, kommentiert, reflektiert – und lässt dennoch Raum für die Leser, sich ihre eigenen Gedanken zu machen.
Fazit
4 3 2 1 ist kein Buch für zwischendurch. Es verlangt Konzentration, Geduld und ein gewisses Maß an literarischer Erfahrung. Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einer außergewöhnlichen Lektüre belohnt – einem Roman voller Gehalt, Ideen, Menschlichkeit und Tiefe. Für mich war es mal wieder ein Buch, das nicht nur unterhalten, sondern nachhaltig beschäftigt hat. Paul Auster hat mit diesem Werk ein modernes Meisterstück geschaffen, das lange nachhallt.
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WICHTIGER HINWEIS: DIE IM GEWINNSPIEL ANGEGEBENE VERSION IST NICHT DIE HIER ABGEBILDETE. IM GEWINNSPIEL GIBT ES DIE RECLAM-EDITION IN ENGLISCHER SPRACHE ZU GEWINNEN!
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Zusätzliche Informationen
Paul Auster wurde am 03. Februar 1947 in New Jersey (Vereinigte Staaten von Amerika) geboren.
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