Paris 1933:
„Schattenmann“ ist meines Erachtens der schwächste Teil der Trilogie rund um den Berliner Ermittler Willi Kraus.
Die Kraus‘ sind aus Nazideutschland nach Paris geflohen. Sie haben kein definitives Bleiberecht und keine Arbeitserlaubnis, als Flüchtlinge.
Willi Kraus durchlebt neben Heimweh nach Berlin und einer Identitätskrise und schlimmer Zukunftsangst auch eine midlifecrisis, wie es scheint. Irgendwie ist er in die Schwester (!) seiner verstorbenen Frau verliebt, dann in eine französische femme fatale, die 15 Jahre jünger als er ist.
Willi wird unglaublich unsympathisch gezeichnet, und das Frauenbild des Autors ist fragwürdig, es gibt kaum Grautöne. Hure, Heilige, Grossmutter. So in etwa. Auch gibt es in „Schattenmann“ viel chauvinistisches Gelaber, das mir nicht gefallen hat. Aus der Rahmenhandlung hätte der Autor mehr machen können, wenn er das Ganze mehr gestrafft und mit mehr Spannung versehen hätte:
Kraus, hochdekorierter jüdischer Kommissar aus Berlin, flieht 1933 nach Paris. Die dortige Polizei ist jedoch an seinen Diensten nicht interessiert, nur ein Detektiv bittet um Hilfe. Kraus soll einen jungen Studenten beobachten. Harmlos - bis dieser auf offener Straße erstochen wird. Kraus gerät an dessen zwielichtige und zugleich faszinierende Freundin Vivi. Als auch noch sein Auftraggeber spurlos verschwindet, entdeckt er, dass der französische Geheimdienst den Studenten im Visier hatte. Es geht um eine Verschwörung - in der auch Kraus eine Rolle spielen soll.
Der Roman liest sich etwas zäh, ist sehr konstruiert. Geärgert habe ich mich über das teils falsche Französisch, das in der deutschen Fassung nicht korrigiert wurde und Ungenauigkeiten. Im Roman steht x- mal „joi (sic!) de vivre“, obwohl es „joie de vivre“ heißen müsste. Der Name „Désirée“ wird mal mit allen Accents geschrieben und mal nicht. Usw. Wenn Französisch, dann doch bitte richtig oder gar nicht oder vom Übersetzer korrigiert oder mit Fußnote versehen.
Hieß Kraus‘ Schwiegermutter im ersten Teil namens „Kindersucher“ noch „Bette“ mit Vornamen, so heißt sie nun „Bettie“. Mir haben auch einige Figuren aus Teil eins und 2 gefehlt, obwohl mir klar ist, dass sie aus dramaturgischen Gründen das Zeitliche segnen mussten.
Der Roman ist leider etwas spannungsarm und obwohl die Grundidee rund um politische Intrigen interessant ist, ist das Ganze nicht rund. Hatte Grossman keine Lust mehr auf Willi Kraus? Ich musste trotzdem wissen, wie die Geschichte ausgeht, auch wenn „Schattenmann“ im Vergleich zum Auftaktband eine Enttäuschung war.
3,5 Sterne von mir für diesen schwachen Abschluss der Willi-Kraus-Trilogie.
Schade!
Lebenslauf von Paul Grossman
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Paul Grossman
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Neue Rezensionen zu Paul Grossman
Berlin 1932/1933:
„Schlafwandler“ von Grossman ist ebenso wie „Kindersucher“ ein spannender Histo-Thriller.
Hier tut man jedoch gut daran, auch das Nachwort des Autors zu lesen, in welchem er den Text erläutert. Er räumt ein, viele geschichtliche Ereignisse, die später stattfanden, teils 10 Jahre vorher (!) platziert zu haben, was natürlich völlig ahistorisch ist. Und er erklärt so manche Figur im Roman; dies fand ich sehr aufschlussreich. Fakten und Fiktion mixt er zu einem spannenden Cocktail.
Natürlich können sich auch nicht sämtliche Berühmtheiten Berlins an einem Tag über den Weg gelaufen sein. Stellenweise trägt der Autor einfach arg dick auf.
Worum geht’s?
Inspektor Kraus ist bei der Berliner Polizei eine Legende. Im Weltkrieg war er ein Held, und nun hat er einen gefährlichen Kinderschänder gefasst. Doch als Jude sieht er die Entwicklung in Deutschland mit größter Besorgnis, zumal er Kontakte zu den höchsten Kreisen hat und weiß, was von Hitler zu erwarten ist. Als in der Spree eine Frauenleiche gefunden wird, ruft man Kraus. Die junge Frau ist schon länger tot. Auffällig sind die Wunden an ihren Beinen. Man hat ihr die Knochen unter dem Knie abgetrennt. Wenig später verschwindet die Prinzessin von Bulgarien aus dem Hotel Adlon, und Kraus erhält von Hindenburg persönlich den Auftrag, sie zu finden. Er glaubt an einen eher harmlosen Kriminalfall – doch er wird auf dramatische Weise eines Besseren belehrt…
Leider benimmt sich der Protagonist Wilhelm Kraus teils ziemlich out of character, vor allem, als er mit der Prostituierten Paula anbandelt, die als Figur auf ihre „Brüste“ und ihr „neurotisches Kindheitstrauma“ reduziert wird.
Die Liebesszenen lasen sich wie eine schwülstige Altherrenfantasie & sie waren einfach nur peinlich. Ich dachte, plötzlich einen Groschenroman zu lesen; überhaupt gab es ziemlich viel Chauvi – Gequatsche. Frauen und ihre „Beine“. Landei Gunther wurde plötzlich zum Don Juan, der quasi in jedem Hafen eine Braut hatte. Sehr abgeschmackt!
Der eigentliche Fall war aber wieder sehr spannend, obschon für mich ein wenig vorhersehbar. Spitze beschrieben wurde der Untergang der Weimarer Republik, die aufgeheizt-ängstliche Stimmung und das Gebaren der Nazis.
Kraus‘ Liebe zu seiner Heimatstadt Berlin wird aber richtig schön beschrieben.
Richtig toll fand ich das 'Veteranentreffen'. Kraus‘ Kameraden aus dem Ersten Weltkrieg liessen ihn nicht im Stich, und mein Liebling Kai spielte auch wieder eine Rolle.
Der Horroranteil ist geringer als in „Kindersucher“, und Vieles, was sich absurd und übertrieben anhörte, wurde von der deutschen Wirklichkeit noch übertroffen, leider. Stichwort: Doktor Mengele.
Trotz mancher Schwächen vergebe ich daher für „Schlafwandler“ von Paul Grossman 4,5 von insgesamt 5 möglichen Sternen, denn der Thriller ist sehr spannend.