Nach der Französischen Revolution lebt Jean Valjean mit seiner Familie in extremer Armut in Frankreich. Aus Verzweiflung zerbricht er ein Fenster und stiehlt einen Laib Brot. Seine Strafe wird durch mehrere Fluchtversuche verlängert, bis er schließlich 19 Jahre später endlich seiner Freilassung entgegen sehen kann. Doch die negativen Reaktionen anderer auf seine vorige Zeit als Sträfling in Form von geringeren Bezahlungen, die Weigerung ihm ein Zimmer zu vermieten oder Essen zu servieren, verstärken seine Härte und Verbitterung, die lediglich durch den Gnadenakt eines Bischofs Milderung erfahren. Als er in eine neue Stadt reist, rettet er jemanden das Leben und infolge des allgemeinen Wirbels um diese Situation vergessen die Stadtbeamten, ihn um seine Papiere zu bitten. Mit einer neuen Identität wird er in einer Fabrik angestellt, trägt zur Verbesserung der Produktion bei, was zu seiner Beförderung, schließlich zu seiner Position als Leiter der Fabrik und noch weiter zu seiner Wahl zum Bürgermeister führt. Bekannt ist er als ruhiger, freundlicher und wohlwollender Mann, der viel von seinem Reichtum für die Bedürftigen einsetzt. Doch der ehemalige Gefängniswärter Javert und nun Polizeiinspektor der Stadt meint Jean wiederzuerkennen.
Fantine, ein alleinstehendes junges Mädchen mit Kind, welches aus einer Liaison mit einem Mann hervorging, der sie lediglich als Ablenkung benutzte, muss Cosette dem Gastwirt Thenardier und seiner Frau gegen Geld anvertrauen, damit sie in einer anderen Stadt Arbeit finden kann. Sie landet in Valjeans Fabrik, wird jedoch gefeuert, als sich herausstellt, dass sie ein Kind hat. Als auch noch der Gastwirt versucht, Geld von ihr zu erpressen, ist Fantine so verzweifelt, dass sie ihre Zähne, Haare und schließlich ihren Körper verkauft, was im Buch diskret behandelt wird und von Hugo als eine Form der Sklaverei angesehen wird. Durch Vernachlässigung ihrer selbst wird sie schwer krank. Eine Auseinandersetzung auf der Straße macht sie auf Valjean aufmerksam. Als er ihre Geschichte hört, fühlt er sich für ihre Situation verantwortlich, da sie aus seiner Fabrik entlassen wurde. Er gibt ihr Geld, damit sie sich um sich und ihre Tochter kümmern kann, was ihm die Thenardiers jedoch übel nehmen, da ihnen nun eine Einnahmequelle verloren geht. Der Rest der Handlung beschreibt die Verfolgung von Jean durch Javert, manchmal auch Thenardier, Jeans Sorge um Cosette, ihre Entwicklung zu einer jungen Frau, wie sie sich in Marius verliebt, was wiederum Jean bedrückt, der nie jemanden geliebt hat und Angst hat, Cossette zu verlieren.
Dies ist lediglich ein kleiner Anriss, der Handlung neben vielen weiteren Ebenen, Nebenhandlungen und Charakteren in Les Misérables. Thematisiert werden Armut, Politik, französische Geschichte, die Rechtschaffenheit des Gesetzes (vertreten durch Javert) gegenüber Gnade (vertreten durch Jean). Das Buch behandelt christliche Themen wie Erlösung, Vergebung, Opfer und Selbstlosigkeit und das Bauen auf Gott und eine zweite Chance.
In der nicht gekürzten Fassung kommen manche Stellen nur sehr langsam voran, wobei die Handlung durch Dokumentationen unterbrochen zu werden scheint. Jeans und Cosettes Flucht in ein Kloster führt zu einem Abriss über die Geschichte der Klöster im Allgemeinen, dieses Klosters im Besonderen, ob Klöster richtig oder falsch sind. Oder eine Flucht durch die Kanalisation beinhaltet eine detaillierte Beschreibung der Geschichte der Abwasserkanäle und die Vorschläge, wie sie besser gemacht werden könnten. So leid es mir tut und ich mag ein Frevel sein, aber diese Nebenbemerkungen waren manchmal eher lästig und verführten zum Überspringen. Ich musste mich beherrschen, dies nicht zu tun.
Demgegenüber ist die gewählte Tiefe für die Charaktere sehr spannend. Hugo beschreibt ihre Persönlichkeiten, Hintergrundgeschichten, Erinnerungen, Gedanken, Handlungen und inneren Konflikte detailliert und lässt ihre Wege geschickt kreuzen. Alle weisen mehrere Facetten ihrer Persönlichkeit auf, die über den ersten Eindruck hinwegtäuschen. Im Verlauf der Handlung entwickelt sich Verständnis für ihr Verhalten und Tun, sobald sich ihre Motive offenbaren.
Es ist nicht leicht, dieses Buch zu lesen und man muss mit voller Aufmerksamkeit dabei sein, um keine Schlüsselmomente zu verpassen. Les Misérables ist eine schöne Geschichte über die Menschheit in all ihren Formen, gut oder schlecht, in all ihrer Schönheit und ihren Abgründen, mit all ihren Problemen und Erfolgen. Die philosophischen Gedanken Hugos sind trotz ihrer stellenweise anstrengenden Ausschweifungen ergreifend. Was die genaue Hauptbotschaft in diesem Buch ist, ist schwer mit ein paar Worten zu konkretisieren, doch es geht wohl auch darum, mit seinem eigenen Gewissen zu leben. Wichtiger als das, was andere von einer Person denken und wie sie sie beurteilen, ist, was sie für sich selbst empfindet für den eigenen Seelenfrieden. Wie Jean kann man vor der Polizei fliehen und sich verstecken, aber man kann sich nie selbst entkommen.
Ein Klassiker, den man gelesen haben sollte, um sich eine eigene Meinung zu bilden.