Cover des Buches Mein GI für einen Sommer (ISBN: B01JGPV7GK)
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Rezension zu Mein GI für einen Sommer von Paula Dreyser

Teenage Wasteland

von ira_habermeyer vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Sympathisch-süße Mädels und toughe Guys in einem Stück deutscher Zeitgeschichte, den 1970er Jahren

Rezension

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ira_habermeyervor 8 Jahren
Es ist heiß im Sommer 1976 und man spricht vom Jahrhundertsommer, als die beiden Freundinnen Marita und Sophie von ihren GIs, Anthony und Rick träumen. Wieder ist der Schauplatz von Paula Dreysers Kurzroman "Mein GI für einen Sommer" das deutsch-amerikanische Millieu in Mainz.

Marita und Sophie sind zwei Teenager aus gutbürgerlichen Familien, in denen "anständige deutsche Freunde" erwünschter sind als amerikanische Soldaten und wo zum Fernsehabend der Käseigel aus Plastik neben der Platte mit Leberwurstschnitten kredenzt wird. Wenn sie sich mit dem Italoamerikaner Anthony und dem Hispano Rick treffen, sie an den Lee Barracks abholen, gilt es, sich nicht von tratschsüchtigen Nachbarinnen erwischen zu lassen. So erleben wir einen Sommerabend in einer Sportgaststätte am Waldrand, wo auch das Flair der 1970er Jahre spür- und erlebbar wird. Oder auch in Eisdielen, die den sehnsuchtsbehafteten Namen "Venezia" tragen.

Doch über der Liebe zwischen Marita und Anthony zieht ein Schatten auf: Slade, ein aus Samoa stammender GI, zieht Anthony in dubiose Geschäfte hinein und macht ihn, der seinen kranken Vater in den Staaten unterstützen muss, erpressbar. So erklärt Anthony Marita, dass er nach seinem Heimaturlaub nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wird ...

"Mein GI für einen Sommer" ist nicht nur wegen Paula Dreysers flüssigen Schreibstil schön zu lesen, sondern auch die Protagonisten sind sehr sympathisch und spannend. Auf der einen Seite sind Marita und Sophie, junge Mädchen in ihrer Zeit mit Clogs und Dauerwelle, die zum ersten Mal verliebt sind und schon fast komplotthaft das nächste Date planen. Undurchdringlich und unnahbar erscheint Anthony, der seine deutsche Freundin an sich heranzieht und sie gleichzeitig auf Distanz hält. Er ist gewiss kein glatter Charakter, doch genau das macht seine Rolle spannend und interessant. Darum wäre es auch zu einfach zu sagen, er spielt mit Maritas Gefühlen.

Paula Dreyser versteht es, ihre Leser in ein Jahrzehnt zurückzuführen, das sie vielleicht nicht selbst erlebt haben. Das Lebensgefühl der 1970er Jahre umweht einen wie das Baumwollkleid der Schwimmbadbesucherin zur entfernten Hippie-Hymne "If You're Going to San Francisco" gleich zu Anfang, doch Flower Power ist schon wieder Vergangenheit. Dafür erinnern wir uns an Palästinensertücher, verrauchte Kneipen, "Smoke on the Water", den Sieg Helmut Schmidts bei der Bundestagswahl und - hier schließt sich 40 Jahre später der Kreis - die EG-Erweiterung mit dem Vereinigten Königreich und der Idee, ein Europaparlament direkt zu wählen.

40 Jahre später, im Jahr 2016, finden sich Marita und Anthony über eine deutsch-amerikanische Facebookgruppe wieder. Mit der Jetzt-Zeit erlebt Marita ihre eigene Unsicherheit in einem verunsicherten Land, der Brexit, die scheinbar verlorene Idee des Vereinten Europas aus den 1970er Jahren, die Silvesternacht und das Aufkommen neuer rechtsradikaler Strömungen bereiten ihr, wie allen, Sorgen. Da scheint die Erinnerung an eine langsamere, überschaubarere Zeit und das Wiedersehen mit Anthony eine willkommene Atempause.

Ein kurzer wie auch kurzweiliger Roman über die erste Liebe und ihr Risiko, über Verstrickungen und scheinbare Auswege, und über einen langen und heißen Sommer am Rhein.
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