Cover des Buches The Girl on the Train (ISBN: 9780857522313)
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Rezension zu The Girl on the Train von Paula Hawkins

Zerrissen

von Siebente vor 9 Jahren

Rezension

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Siebentevor 9 Jahren

Vielleicht haben sie es auch schon erlebt: man geht jeden Tag an einem Haus vorbei, fährt an einer Wohnung vorbei, und irgendwie glaubt man, die Menschen darin zu kennen. Oder: man denkt sich eine Geschichte aus, über genau diese Menschen. Diese Gedanken kamen mir bei der Leseprobe von „The Girl on the train“. Hauptfigur Rachel ist jeden Tag mit dem Zug unterwegs, kommt jeden Tag am selben Haus vorbei, sieht die selben Menschen. Doch dann ändert sich alles. Als ich die Leseprobe von „The Girl on the train“ las, Klang der Ansatz für mich zunächst nach das Fenster zum Hof. Jemand sieht durch ein Fenster ein Verbrechen und dann wird alles anders. Anders ist das richtige Stichwort: denn tatsächlich verläuft die Geschichte anders. Wie? Dazu nun Stück für Stück mehr.

1. Die Figuren
a) Rachel
b) Megan
c) Anna
d) Tom
e) Scott
2. Die Geschichte
3. Themen
a) Unglücklichsein
b) Sucht
4. Erzählweise
5. Zielgruppe
6. Lesbarkeit der englischen Version
7. Pro & Contra
8. Fazit

1. Die Figuren
Die zentrale Figur der Geschichte ist. Ist sie auch… Aber nicht ganz. Auch Mengen spielt eine wichtige Rolle Anna weniger und dann sind da noch Tampons Gott. Aber der Reihe nach.

a) Rachel
Mein erster Gedanke: Rachel ist nur eine ganz normale Berufstätige, die jeden Tag mit dem Zug aus einem vor Vorort nach London pendelt…
Und ich kann mich zunächst sehr gut mit ihr identifizieren. Denn auch ich bin jahrelang mit dem Zug gependelt, auch ich habe mir manchmal überlegt, was die Leute um mich rum oder in den Häusern, an denen ich vorbei kam, so machen und denken.
Rachel hat es auf ein Paar abgesehen, die direkt an der Bahnlinie wohnen. Sie bewundert die durchtrainierte junge Frau und ihren gutaussehenden Mann, sie glaubt, dass die zwei garantiert ganz glücklich sind!
Sie ist es nicht, erfährt man bald. Auf der Heimfahrt trinkt sie was – Alkohol. Doch nicht nur auf der Heimfahrt. Rachel IST Alkoholikerin, sie trinkt auf dem Hin- und Rückweg, sie trinkt in der Wohnung, in der sie Untermieterin einer Bekannten ist, sie trinkt fast ständig Alkohol. Mit dem Saufen hat sie angefangen, als sie nicht schwanger wurde, ihr Mann ging erst fremd, trennte sich dann.
Rachelt trauert ihrem Ex-Mann Tom nach, sie hat ihren Job verloren – mit ihm hat sie nur ein paar Häuser von dem des Paares entfernt gewohnt, von dem sie jetzt fasziniert ist – von Megan und Scott.
Mir erscheint Rachel zu wenig selbstdiszipliniert, zu selbstmitleidig. Ihr Alkoholismus hat zu einer Abwärtsspirale geführt, aus der sie nicht mehr heraus kommt.
Normalerweise sind interessante Hauptfiguren ein Trumpf einer guten Geschichte. Die wichtigste Figur von „The Girl on the train“ ist für mich leider keine so grandiose Hauptfigur, sie ist jemand, den ich nicht so gerne begleiten würde.

b) Megan
Wenn man Megan mit den Augen von Rachel sieht, dann ist Megan ganz anders: Glücklich verheiratet, schön, stark, einfach eine Frau in einem perfekten Leben. Doch das ist nur Rachels Sicht. Megan selber ist auch sehr unglücklich, hat Depressionen. Der frühe Tod ihres Bruders macht ihr zu schaffen. Und mit der Zeit erfährt man, dass Megan eine frühe Liebe hatte, Mutter wurde, aber das Kind durch ihre Unachtsamkeit ums Leben kam.
Jetzt ist sie mit Scott verheiratet, der von dieser Vorgeschichte nichts weiß – ebenso wenig davon, dass Megan fremd geht.

c) Anna
Anna ist Rachels Nachfolgerin als Ehefrau von Tom. Während der Ehe mit Rachel, betrügt Tom seine Frau mit Anna, trennt sich schließlich von Rachel, heiratet Anna, die beiden bekommen eine Tochter. Aus Annas Sicht ist Rachel eine Verliererin, eine Psychopathin, die Tom immer noch nachhängt, die vor der gemeinsamen Haustür steht, die auch einmal ins Haus eingedrungen und Toms und Annas Tochter Evie fast entführt hätte.
Anna hat eine Ehe – die von Rachel und Tom – zerstört. Sie ist ein Grund für Rachels Unglücklichsein. Aber sie sieht sich nur als Opfer, wirkt lange Zeit naiv und eindimensional.

d) Tom
Annas Mann, Rachels Ex-Mann – tja ... Er ist eine kantige Figur: Sich zu trennen, sich neu zu verlieben – an sich ist das heute normal. Und so mancher würde sagen: Wer vermag es ihm verdenken, denn es ist sicher nicht einfach, wenn die eigene Frau nicht mehr vom Alkohol los kommt und man selber macht- und hilflos zuschauen muss ... (Auch wenn da der berechtigte Einwand kommt: Erst einmal sollte man lange und mit Liebe kämpfen, um die Frau wieder vom Alkohol abzubringen.)
Tom ist zerrissen: Er scheint einerseits den Wunsch zu haben, noch ein wenig für Rachel da zu sein, andererseits weiß er: Anna hasst Rachel, er handelt sich Ärger ein, wenn Anna erfährt, dass er mit Rachel redet.

e) Scott
Zunächst ist er der perfekte Ehemann von Megan – in Rachels Sicht. Dann ist er der Mann, der Angst um Megan hat. Denn die ist plötzlich verschwunden. Und er ist der Verdächtige. In gewisser Weise ist Sott für mich sogar die interessanteste Figur der Geschichte. Denn er hat gute und schlechte Seiten, ist am ehesten ein Mensch mit Brüchen.

2. Geschichte
Jeden Morgen und jeden abend fährt Rachel im Zug an ihrem ehemaligen zu Hause vorbei. Mit ihrem Mann Tom hat Rachel direkt an der Bahn gewohnt. Doch Tom liebt im selben Haus inzwischen mit seiner neuen Frau und seiner Tochter. Und ein paar Häuser weiter wohnt ein anderes scheinbar glückliches Paar: Sie nennt die beiden Jess und Jason – tatsächlich heißen sie aber Megan und Scott. Eines Tages sieht Rachel Jess/Megan wieder einmal vom Zug aus. Jess/Megan küsst einen Mann. Aber es ist nicht Scott.
Und Rachel ist nicht nur irgend eine Pendlerin auf dem Weg zur Arbeit. Sie selber hat nicht nur ihren Mann verloren, sondern auch ihre Job. Eine Samstags abends ist sie total betrunken in ihrem ehemaligen Wohnort dann: Filmriss! Rachel erinnert sich nicht, was passiert ist es ist die Nacht, in der Megan verschwindet.
In der Zeitung liest sie von Megans Verschwinden. Rachel will der Polizei helfen, will Scott entlasten, macht eine Aussage und berichtet von dem Fremden, den Megan geküsst hat. Doch bei der Polizei merkt man schnell, dass Rachel alkoholsüchtig ist, sie gilt als unzuverlässige Zeugin. Dazu kommt, dass auch Anna, die neue Frau von Rachels Ex-Mann sich bei der Polizei meldet – und gegen Rachel wettert.
Nun versucht Rachel, Scott selber zu helfen, tischt ihm die Lüge auf, sie sei mit Megan befreundet gewesen und wisse, dass es da einen anderen Mann gegeben habe. Zunächst findet Scott es tröstlich, mit einer Freundin von Megan Kontakt zu haben. Als er aber erfährt, dass Rachels Geschichte zur Hälfte gelogen ist und sie Megan nie kannte, ist er richtig sauer. Und er gerät in Verdacht – als die Polizei Megans Leiche findet.
Die weiteren Irrungen und Wirrungen verrate ich an dieser Stelle nicht. Doch nach diesem Punkt gewinnt die Handlung an Fahrt und Sog.

3. Themen
a) Unglücklichsein
Das Unglücksein ist Kernthema der Geschichte. Eigentlich und auch uneigentlich ist jeder der fünf zentralen Charaktere nicht so wirklich und richtig glücklich:
Rachels steht vor den Trümmern ihres Lebens: erst ging ihr Kinderwunsch nicht in Erfüllung, sie suchte Trost im Alkohol, dann hat ihr Mann sie betrogen und verlassen und zu schlechter letzt war sie so betrunken, dass ihr Chef sie gefeuert hat. Der letzte Schritt, der noch zum absoluten Absturz fehlt, wäre, dass sie ihre Wohnung verliert. Auch das passiert – fast. Denn ihre Mitbewohnerin ist es wirklich Leid, die ständig betrunkene Rachel um sich zu haben. Aber aus Mitleid lässt sie Rachel dann doch noch bleiben ...
Auch Megan ist nur scheinbar glücklich. Der Tod ihres Bruders, der Tod ihrer Tochter, der Bruch ihrer Beziehung, all das haben sie fast zerbrochen. Und Scott ist zwar auf den ersten Blick ein toller Mann. Aber sie kann sich ihm mit diesen Sorgen nicht anvertrauen und findet kein Ziel im Leben, das ihr wieder Halt gibt.

b) Sucht
Wie grade schon geschildert: Die Sucht hat Rachel zerstört. Sie wirkt willensschwach, selbstmitleidig. All das führt – wie schon gesagt – dazu, dass sie in ihrer Rolle immer tiefer an den Abgrund gerät und für den Leser nicht unbedingt die sympathische Identifikationsfigur ist.

4. Erzählweise
Das Besondere an diesem Buch ist, dass es aus der Ich-Perspektive erzählt ist – aber aus drei verschiedenen Ich-Perspektiven. Zunächst wechseln sich Rachel und Megan ab, dann kommt später auch noch Anna dazu. Die einzelnen Kapitel wirken dann auch zum Teil wie innere Monologe, weil sie sehr in der Gedankenwelt der jeweiligen Figur spielen.
Weitere Besonderheit: Die Geschichte wird zwar einerseits innerhalb der jeweiligen Figur chronologisch erzählt. Megans Erzählstrang ist aber im Vergleich zu Rachel und Anna in der Vergangenheit angelegt.
Trotzdem kann man der Erzählung ganz gut folgen. Die Tatsache, dass die Erzählweise so ungewöhnlich ist, ist sicher ein Pluspunkt des Buches.

5. Zielgruppe
Ich habe hier die fünf wichtigsten Figuren aufgezählt. Doch man merkt’s schon: Im Zentrum stehen die Frauen, aus ihrer Perspektive wird die Geschichte erzählt, deswegen würde ich auch eher Frauen als Zielgruppe sehen. Wer einen klassischen Krimi/Thriller erwartet, ist hier allerdings fehl am Platz. Ermittler und Ärzte oder die Täterperspektive sind hier nur Randerscheinungen.

6. Lesbarkeit der englischen Fassung
Ich habe Englisch studiert, im Alltag spreche ich englisch aber inzwischen nicht mehr, englischsprachige Bücher sind für mich eine gute Möglichkeit „im Film“ zu bleiben.
Dieser Roman bot für mich keine Schwierigkeiten, ich konnte ihn auf Englisch problemlos lesen und verstehen.

7. Pro & Contra
Pro
- Erzählweise
- Mal eine andere Art von Krimi/Thriller
- Gute zweite Hälfte

Contra
- zu selbstmitleidige Hauptfigur
- Anlaufzeit

8. Fazit
„The Girl on the train“ war eine andere Art von Krimi/Thriller – im positiven – aber auch ein wenig im negativen Sinn. Aus der Idee, dass jemand aus dem Zug etwas beobachtet, hatte ich eigentlich eine etwas andere Geschichte erwartet, den aktiven, spannenden Versuch dieser Figur, ein Verbrechen aufzuklären.
Ansatzweise versucht das Rachel auch, sie versucht, herauszufinden, warum Megan, die Frau, die sie vom Zug aus gesehen hat, verschwunden ist. Aber sie stolpert dabei über, sie scheitert dabei an sich selbst. Rachel ist zu selbstmitleidig, sie trinkt, sie scheitert, sie trinkt mehr, sie scheitert weiter. Jeder von uns scheitert, aber wenn jeder dann so aufgeben würde, dann wäre das Leben eine einzige Katastrophe. Auch die Anlaufzeit, bis die Geschichte an Fahrt und Sog gewinnt, war etwas lang. Aber wenn man die hinter sich bringt, wird man durch eine gute zweite Hälfte entschädigt.

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