„Die Kuppel“ beschreibt eine degenerierte Welt, die von Verfall und Elend geprägt ist und in der jegliches Wissen verloren gegangen ist.
Eine Welt, die von „Menschen“ bevölkert ist, die mehr – so auch im Buch irgendwann genannt – an Wilde erinnern, als an Menschen. Und neben den Menschen leben dort die sogenannten Bestien. Wesenheiten, vom Aussehen mehr Tier als Mensch, mit unterschiedlichen sozialen Strukturen und einer wahnwitzigen Physiologie. Insgesamt eine düstere Mischung.
Eine Dystophie, so grausam und beängstigend, wie ich sie bisher selten gelesen habe.
Das Buch ist eher in das Genre der Science Fantasy einzuordnen, da es Elemente der fantastischen Lietartur, der Science Ficiton und die von Endzeitromanen miteinander zu einer gelungenen Mischung verbindet.
Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Denn Niemand, oder besser nichts, ist ultimativ böse. Das Leben in dieser Welt ist geprägt vom täglichen Kampf ums Überleben. Hier gilt nur das Recht des Stärkeren. Es heißt, fressen oder gefressen werden. Wer körperlich oder geistig nicht mithalten kann, endet als Frischfleisch für andere. Und auch denen, die zu alt werden um noch nützlich sein zu können, ereilt das gleiche Schicksal.
Es ist eine hoffnungslose und bedrückende Welt.
Die Menschen wirken in den Augen des Lesers so fremdartig, dass es im ersten Moment schwer fällt, hier eine Identifikationsfigur zu finden. Aber der Protagonist Stolperzunge, ein junger, unsicherer, aber kluger Mann, mit dem Makel des Stottern, ist solch ein Sympathieträger, dass er es dem Leser einfach macht, sich nach und nach in seiner Welt zurecht zu finden. Dennoch bleibt eine gewisse Distanz bestehen. Und durch diese Distanz fiel es mir schwer mit Stolperzunge zu lieben und leiden. Immer ist es ein wenig so, als würde ich ihn und seinen Stamm durch eine Art Glasscheibe betrachten und nicht wirklich mit ihm fühlen. (Vor allem gegen Ende, zeigt sich, wie geschickt das vom Autor eigentlich gemacht ist und welchen Grund dieser Stil haben könnte.)
Aber im Verlauf des Buches werden die Grenzen weicher, die Fremdartigkeit weicht einem Gefühl der Verbundenheit und plötzlich ist es Stolperzunge, der „zivilisiert“ wirkt und die anderen sind die „Wilden“. Die Charakterentwicklung verläuft schleichend und zunächst unbemerkt. Gerade das macht Stolperzunge so glaubwürdig und die Handlung so erschreckend realistisch.
Aber auch Indrani, die geheimnisvolle Frau, die irgendwann in dieser Welt landet, und die – sagen wir – dem Leser eigentlich näher sein sollte, als die Wilden, dient nicht als Identifikationsfigur. Ihre Gefühle und ihre Ambitionen bleiben lange im Dunkel und sind zunächst nicht nachvollziehbar. Außerdem ist sie als Figur zu erhöht, also auf andere Weise zu fremdartig für den Leser. Mit der Zeit entwickelte sich bei mir sogar eine richtige Antipathie gegen diese Figur, da sie immer arroganter wird und immer gefühlskälter. Aber auch sie macht gegen Ende eine erschreckende Entwicklung durch.
Viele der anderen Figuren sind sehr gut ausgearbeitet. Der Autor schafft es ihnen mit wenigen Sätzen und Beschreibungen ein sehr deutliches Gesicht zu geben.
Auf den ersten Seiten war mir zunächst auch nicht klar, worauf die Geschichte hinaus laufen sollte. Die Beschreibungen waren eher dem Alltag angepasst, wirkten wie die Erläuterungen normaler Abläufe. Was spannend zu lesen war und auch wichtig um sich zurecht finden zu können, aber an mancher Stelle auch etwas arm an Höhepunkten, was dazu führt, dass das Buch keinen richtigen Sog entwickelt konnte.
Dennoch ist es absolut empfehlenswert. Mit der Zeit kristallisiert sich heraus, wo das Ganze hinführen soll und hier beginnt dann auch die wahre Spannung – und auch das wahre Entsetzen.
Denn der Autor schont seine Leser nicht. Die Hoffnungslosigkeit der Welt und das bedrückende Gefühl, der sich immerfort wiederholenden Verhaltensweisen und Handlungen machen das Buch auf unvergleichliche Weise bedrückend und schwer. Der Kannibalismus, der ständige Kampf und das Blut tun ihr Übriges dazu.
Trotz der relativ einfachen Zutaten und des einfach gestrickten Handlungsbogens ist das Buch nicht unbedingt ein Buch für Zwischendurch. Es lädt auch zum Nachdenken ein, zum Nachdenken über unsere heutige Situation und unser Verhalten in dieser Welt. Wie fremd sind uns die Wilden wirklich?
Ansonsten kann ich das Buch nur schlichtweg empfehlen.
Die Aufmachung des Buches ist wunderschön, gebunden, mit einem Prägedruck auf dem Schutzumschlag. Das Buch darunter ist blutrot und schlicht gehalten. Format und Zeichengröße sind angemessen und angenehm. Aber auch inhaltlich hat das Buch einiges zu bieten. Es weicht auf interessante Weise vom normalen Mainstream des Genres ab. Hier hat der Verlag definitiv alles richtig gemacht.
Zum Ende hin, wird die Handlung noch mal Richtung spannend und der Actionfaktor steigt noch mal an.
Das Ende selbst ist bitter. Bitter auf eine ganz besondere Art und Weise. Es bleibt im Kopf hängen, auf den Lippen kleben und lässt einen nicht mehr los. Die zuvor eher fehlenden Emotionen, kommen hier zwar sanft, aber plötzlich in geballter Ladung. Viele Geheimnisse werden gelüftet. Aber auch das erst ganz zum Schluss und ohne einen großen Aha-Effekt zu hinterlassen. Denn vieles konnte der Leser bisher erahnen – oder besser befürchten.
Auch wird erklärt, was es mit der Kuppel wirklich auf dich hat und gerade die Offenbarung hat mich erschreckt und mit einem flauen Gefühl im Magen zurück gelassen.
Das Buch wirkt zwar rund, bedient den Leser aber mit einem sehr offenen Ende. Wie es weiter gehen wird/kann, ist unklar und lässt viel Raum für Spekulationen und Hoffnungen.
Bei einem so düsteren Setting und dieser bedrückenden Atmosphäre ist das Ende aber sehr treffend. Denn hier ein klares Happy End, oder ein Ende ohne Fragen, hätte nicht richtig gepasst.
Da es sich bei dem Buch um den Beginn einer Trilogie handelt, dürfte dieser Cliffhangar sowieso zu verschmerzen sein.
Fazit:
Für jeden, der gerne Mal über den Tellerrand, der „normalen“ fantastischen Literatur blicken möchte, ist das Buch definitiv geeignet.
Es bekommt 4,5 von 5 Punkten von mir, einen halben Punkt Abzug für die anfängliche etwas unnatürliche Distanz und die fehlenden Emotionen im Mittelteil.