Cover des Buches Family Album (ISBN: 9781400113521)
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Rezension zu Family Album von Penelope Lively

Rezension: «Family Album» Penelope Lively

von Gilbert vor 7 Jahren

Rezension

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Gilbertvor 7 Jahren

Penelope Lively gilt als Autorin, die sich mit der Familie im Wandel der Zeit beschäftigt. Aus der Schilderung des Familienbildes der älteren Generation (Eltern: Alison und Charles) und jener der jüngeren Generation (6 Kinder) lässt sich ein erstes Thema herauskristallisieren, dem sich Lively inhaltlich widmet und das in einer ironischen Kritik an der antiquierten Rollenverteilung sichtbar wird. Die Mutter Alison ist die Hauptvertreterin dieses alten Familienbildes, sichtbar an ihrer Liebe zur Grossfamilie und den überkommenen Bräuchen, wie dem traditionellen Sonntagsbraten. Die sechs Kinder verkörpern das heutige, neue Familienbild und ein zeitgenössisches Rollenverständnis, dass Frauen berufstätig sind und dass Konkubinat, Kleinfamilie oder gar keine Kinder mehr zu haben, normal ist.

Eine zweite Problematik betrifft das soziale Phänomen der Entfremdung zwischen den Generationen, bzw. dass die Kinder den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen. Dies ist eine weitere Zeiterscheinung und passt ebenfalls in diesen Problemkreis der Familie im Wandel der Gesellschaft.

Leider geht Lively nicht auf die Ursachen dieser Problemkreise ein, sondern schneidet mit dem «Familiengeheimnis», dem Höhepunkt des Buches, sogar noch eine dritte Problematik an, jene des Fremdgehens, bzw. der ehelichen Treue oder Untreue (Charles und das Au-Pair-Girl Ingrid zeugen ein uneheliches Kind, das stillschweigend wie ein eigenes Kind von Alison und Charles grossgezogen wird).

Mich hätte es fasziniert, im Buch etwas über die Gründe all dieser sozialen Probleme und Veränderungen in der Gesellschaft zu erfahren. Allein gelassen ist der Leser einerseits gezwungen, den Inhalt nicht zu individualisieren und vom Buch zu abstrahieren. Er muss den Inhalt verallgemeinern und ihn als eine soziale Tatsache und Wahrheit erkennen und sich die Antwort auf die Frage nach den Ursachen der Prozesse, die zu einem solchen gesellschaftlichen Wandel geführt haben, selber zu geben. Ich habe zu den oben geschilderten Veränderungen die folgende Erklärung: Die Eltern hängen einer ländlichen Lebensweise an, die der spätviktorianischen, bzw. der edwardianischen gleicht (Ende des 19. und anfangs des 20. Jh.), während die Kinder als Vertreter einer zeitgemässen, städtischen Lebensweise Ende des 20. Jh. geschildert werden. Die Oberflächlichkeit der sozialen Beziehungen und die Atomisierung (Vereinzelung) in der Gesellschaft sind aber gerade Phänomene, die mit zunehmender Urbanisierung (Verstädterung) sichtbar werden.

Ein anderer Begriff für die heute zunehmende Individualisierung, v.a. im urbanen Kontext, ist die Ego-Gesellschaft. Liegt der Grund der Entfremdung zwischen den Eltern und den sechs Kindern sowie die Kinderlosigkeit der sechs Nachkommen Alisons und Charles vielleicht darin, dass heute egoistische Werte und das Ausnutzen menschlicher Beziehungen das urbane Gesellschaftsleben dominieren? Lebt doch die Mehrheit der Menschen in postindustriellen Dienstleistungsgesellschaften in Städten, wo die oben genannten Dynamiken zum Tragen kommen. Gemeinsinn, Solidarität und Mitmenschlichkeit kommen ja je länger je weniger zum Tragen und indem der Anteil normaler Arbeitsverhältnisse rückläufig ist und prekäre Beschäftigungen deutlich zunehmen, ist auch zunehmende eine deutliche Kinderfeindlichkeit zu erkennen. Damit wären die Fragen zu den beiden Hauptthemen des Buches beantwortet, denn Kinder fallen der Ego-Gesellschaft lästig und Erziehung ist nicht mehr angesagt.

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