Cover des Buches Weltmeister ohne Talent (ISBN: 9783864930577)
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Rezension zu Weltmeister ohne Talent von Per Mertesacker

Ein ganz anderer Blickwinkel

von santina vor 6 Jahren

Rezension

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santinavor 6 Jahren

Per Mertesacker hat vor wenigen Tagen seine Fußballschuhe an den Nagel gehängt und übernimmt nun das Nachwuchszentrum seines letzten Clubs, Arsenal London. In diesem Buch erzählt der Sportler von einer Zeit bei seinem Heimatverein in Pattensen, bei den Bundesligisten in Hannover und Bremen, er berichtet von den Jahren in England und in der Nationalmannschaft.

Der nun ehemalige Fußballprofi wirkt in seiner Biografie absolut sympathisch und authentisch. Von seinen Eltern erzählt er als „Mama“ und „Papa“ und betont immer wieder, wie sehr die beiden ihm eine Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit mitgegeben haben, die ihn bis heute auszeichnet. Per Mertesacker gewährt sehr private Einblicke, unter anderem über die Zeit mit seinem Freund Robert Enke und dessen Tod, aber auch über seine früheren Beziehungen und darüber, wie er seine Frau kennengelernt und wie deren Vater ihn vor ihr „gewarnt“ hat. Er gibt sich als „der Junge von nebenan“ und das habe ich ihm auf jeder einzelnen Seite abgenommen. Während des Lesens hatte ich den Eindruck, dass er zusammen mit seinem Co-Autor seine Geschichte genau so aufgeschrieben hat, wie er sie in einem Gespräch erzählen würde. Das hat diesem Buch einen ganz besonderen Flair gegeben, denn ich hatte nicht das Gefühl, seine Worte zu lesen, sondern ihm zuzuhören.

Beeindruckt hat mich der Abschnitt über seine Zeit als Zivildienstleistender, die er in einer geschlossenen Anstalt absolviert hat. Man spürt, wie ihn diese Erfahrung geprägt hat, Heute sagt er, dass es ein Geschenk war, Menschen zu helfen, die auf Unterstützung angewiesen waren.

Gut gefallen haben mir auch seine Worte über (ehemalige) Kollegen und Trainer. Er verliert dabei kein böses Wort, äußert sich im Gegenteil sehr wohlwollen über die meisten von ihnen. Über Tim Wiese schreibt er beispielsweise, dass dieser polarisierte, aber hinter den Kulissen eher ruhig war und dass Wiese mit einem unglaublichen Willen an seinem Körper arbeitete, so wie er das jetzt noch tue, nur eben in die umgekehrte Richtung. Auch das hat mich beeindruckt, weil es auf einen seiner „wenigen engen Kollegen“ ein anderes Bild wirft, als das, was in der Presse von Tim Wiese gezeichnet wird.

Besonders angetan war ich von den Vergleichen, die Per Mertesacker zwischen der Nachwuchsförderung zu seiner Zeit und heute zieht. Während es heute darum geht, das finanziell Maximale für die Weltstars von Morgen abzuschröpfen und ihnen dabei alles bis auf den Gang zur Toilette abzunehmen, musste er sich seinerzeit selbst organisieren, mit dem Bus von der Schule zum Training fahren, nebenher für das Abi lernen. Doch das alles sieht er als seinen Vorteil und bedauert, dass die Nachwuchstalente von heute keine Ahnung mehr haben vom echten Leben.

Nach einem Interview mit dem Spiegel waren seine Aussagen über den Druck im Profigeschäft in aller Munde, manch einer zerriss sich das Maul darüber, dass er auf hohem Niveau jammert, weil er sich Brechreiz und Durchfall gut bezahlen lies. All diesen Kritikern kann ich nur raten, dieses Buch zu lesen und einen ganz anderen Blick auf Per Mertesacker zu werfen. Ich jedenfalls war so gefangen von den Erzählungen und Berichten, dass ich den Reader nicht mehr aus der Hand legen wollte und das ist mir bislang bei einer Biografie oder einem Sachbuch noch nie so ergangen.

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