Rezension zu "Geniale Begegnungen" von Peter Badge
Peter Badge ist Fotograf und in dieser Funktion umreist er den Globus - unter anderem für sein Nobel-Projekt in dessen Rahmen er Nobelpreisträger aller Kategorien portraitiert. Um die in diesem Zusammenhang entstandenen Bilder geht es in diesem Buch allerdings nicht. Vielmehr geht es in diesem Buch um die Begegnungen mit ausgewiesen „genialen“ Menschen: Badge lässt diese Treffen – oft von der ersten Kontaktaufnahme zur Terminvereinbarung an – Revue passieren und lässt den Leser so an spannenden Treffen mit faszinierenden Persönlichkeiten teilhaben.
Im Geleitwort zum Buch schreibt Aaron Ciechanover, Chemienobelpreisträger von 2004: „Die Geschichte des Nobelpreises ist ein Abbild der Geschichte der Menschheit im 20. Jahrhundert.“ Nach der Lektüre von Geniale Begegnungen kann man diesen Worten nur zustimmen. Das liegt aber auch ganz besonders daran, dass Badge & Zarrinbal nicht nur nette Plauderstündchen widergeben und diese mit ein paar Bildern bestücken. Stattdessen erläutern sie nämlich unter anderem wofür genau diese Männer (und einige Frauen) ihre Auszeichnungen eigentlich erhalten haben, wie ihre Erkenntnisse sich in unseren Alltag einfügen und vor allem auch unter welchen Umständen diese Nobelpreisträger gelebt und gearbeitet haben.
So ist das Buch Welt- und Zeitreise zugleich, die auf alle Kontinente führt und durch das gerade vergangene Jahrhundert (und bis in die Gegenwart hinein). Unter anderem wird der „Brain Drain“ aus Deutschland zu Zeiten des Dritten Reiches ebenso ausführlich diskutiert, wie das ethische Dilemma, dem sich die Forscher des Manhattan Projects stellen mussten. Mit dem einzigen Forscher, der dem Projekt noch vor Zündung der ersten Bombe den Rücken kehrte, spricht Badge auch ausführlich darüber: Joseph Rotblat, seines Zeichens hochtalentierter Physiker, der jedoch nicht den Physik-Nobelpreis verliehen bekam sondern Friedensnobelpreisträger ist – unter anderem für sein Engagement gegen die Atombombe und andere Massenvernichtungswaffen (Rotblat ist Mitbegründer der Organisation Pugwash Conferences on Science and World Affairs). In seiner Nobelpreis-Rede mit dem Titel „Remember your humanity“ stellt Rotblat folgende Überlegung in den Raum: „Jeder Forscher [kann] für sich diesen Prozess beeinflussen, indem er dem Rüsten sein Wissen verweigert.“ Allein die wenigen Seiten auf denen Badge sich an die Gespräche mit Rotblat erinnert bieten viel Stoff für lustvolle Gedankenspiele rund um Ethik und Moral und um die Tatsache wie schön eine Welt ohne Krieg wäre (Zitat Rotblat: „Was bitte ist an der Idee, Krieg abzuschaffen, Utopie?“).
Den fulminanten Einstieg und das Tempo der ersten hundert Seiten vermögen Badge & Zarrinbal nicht auf den ganzen 550 Seiten zu halten, aber die Vielfältigkeit der Begegnungen und die wirklich spannenden Gedanken, die hier geballt zu Papier gebracht werden, machen das schnell wieder wett und gerade wenn den Leser der Eindruck beschleicht, Badge & Zarrinbal hätten die Lust verloren, kommt die Sprache auf den erst letzten Monat verstorbenen John Nash Jr., den Mathematiker, der auch das Titelbild des Buches ziert und vielen aus dem Film A Beautiful Mind bekannt sein dürfte. Mit Nash, wie mit einigen anderen Preisträgern, trifft Badge sich öfters – auch in privatem Rahmen –und wo das der Fall ist, ermöglicht er dem Leser gekonnt Einblicke in ganz persönliche Anekdoten ohne dabei je ein Gefühl von Voyeurismus aufkommen zu lassen.
Dass die hochkomplizierten naturwissenschaftlichen und mathematischen Theorien der Preisträger von Badge & Zarrinbal selbst für naturwissenschaftliche Laien wie mich durch gekonntes Herunterbrechen und bildhafte Sprache zumindest ansatzweise greifbar werden, bereichert das Leseerlebnis umso mehr und verstärkt das Gefühl, den Preisträgern ein wenig näher zu kommen (es wappnet außerdem ganz hervorragend für den nächsten Smalltalk mit Besserwissern).
Natürlich kommen nicht „nur“ Naturwissenschaftler vor – neben einigen faszinierenden Friedensnobelpreisträgern (außer Rotblat beispielsweise auch José Ramos-Horta, ehemaliger Präsident von Timor-Leste und quasi „Chef“ von Badge, der nach dem ersten Fototermin mit Ramos-Horta wiederholt nach Timor-Leste zurückgekehrt ist und inzwischen Honorargeneralkonsul des Staates ist) nämlich auch Literaturnobelpreisträger. Einem von ihnen – Gabriel García Márquez – ist das Buch gewidmet, denn eigentlich hatte er die Idee, ein Buch über Badges geniale Begegnungen mit Nobelpreisträgern zu verfassen: „Ihre Reiseerlebnisse […], die müssen Sie unbedingt mal aufschreiben und ein Buch mit Geschichten daraus machen. Unbedingt.“ Auf den zögerlichen Einwand Badges, er sei Fotograf und könne kein Buch schreiben, bietet der Laureat großzügig an, „Lernen Sie Spanisch, mein Freund. Dann helfe ich Ihnen.“
Badge hat das Buch dann doch ohne die Hilfe des großen Márquez verfasst und das Ergebnis kann sich durchaus sehen und lesen lassen. Wer also in diesem Sommer einige Dutzend hochinteressante und –intelligente Menschen kennenlernen möchte und auch gegen eine kleine Weltreise nichts einzuwenden hat, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt.
Diese Rezension wurde auch auf lesemanie.com veröffentlicht.