Rezension zu "Flächenland" von Edwin A Abbot
Ein Roman, erzählt von einem alternden Quadrat ... das klingt ungewöhnlich, und entpuppt sich als Kleinod britischer Phantastik.
Die Welt des Protagonisten, eben jenes alternden Quadrates, wird zu Beginn des Buches ausführlich vorgestellt, und das mit gutem Grund, ist sie doch flach wie ein endloser Bogen Papier und ebenso flach darauf/darin die Bewohner, alle geometrische Figuren. Da die Flächenlandbewohner als zweidimensionale Wesen sich nicht über die Ebene ihrer Welt erheben können, nehmen sie natürlich die Welt ganz anders dar als der Leser und stehen vor ganz anderen Schwierigkeiten. Das Quadrat weist den Leser aber so geschickt in die bizarre Welt ein, die so ganz anderes ist, wie unsere, dass der Leser ihm nur zu bereitwillig auch in die sozialen Aspekte des Lebens in der Ebene folgt. Dies tut er um so lieber, da sich hier das Büchlein als bissige Gesellschaftssatire des viktorianischen Zeitalters entpuppt.
Dann aber geschieht etwas ganz wunderbares, was einer Epiphanie gleichkommt. Eine Kugel schneidet die Welt des Quadrats – sie erscheint dem Erzähler folgerichtig als perfekter Kreis – und eröffnet ihm die wunderbare Botschaft: Es gibt mehr als nur Länge und Breite. Es gibt auch eine Dimension der Höhe. Hier beginnt ein unterhaltsamer Ausflug in die Erkenntnistheorie und Metaphysik. Da auch nach einigen Proben der Existenz einer dritten Dimension das Quadrat nicht zu überzeugen ist, wird es von der Kugel zu einer Reise in andere -geometrische Welten entführt und sein Geist endlich neuen Horizonten geöffnet. Zu weit geöffnet allerdings ...
Das Buch wird gerne mir Alice im Wunderland verglichen, ein Vergleich der leider auf mehr als einem Fuß hinkt. Es ist vielleicht nicht weniger verrückt aber in sich stets logisch und - man verzeihe mir - wesentlich weniger durchgeknallt als die liebe Alice. Es ist ein wunderbares Büchlein, das aufruft, über die Grenzen des Denkbaren nachzudenken und auch über das, was jenseits dieser Grenzen liegt. All das aber präsentiert sich locker und leicht verpackt als eine leicht verschrobene, aber nie anstrengende Geschichte voller feinem Humor.
Nach fast 130 Jahren ist das Buch auf liebenswürdige Art altmodisch, aber sicherlich noch nicht verstaubt oder unaktuell.
Ich halte es für lesenswert.