Cover des Buches Ein deutscher Sommer (ISBN: 9783351035426)
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Rezension zu Ein deutscher Sommer von Peter Henning

Große Erwartungen nicht erfüllt.

von Gulan vor 11 Jahren

Kurzmeinung: Das Gladbecker Geiseldrama: Was für ein Stoff! Und wie wenig der Autor daraus macht!

Rezension

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Gulanvor 11 Jahren
August 1988. 54 Stunden dauert das Geiseldrama von Gladbeck. Die Täter Rösner und Degowski irren plan- und ziellos mit ihren Geiseln umher und Polizei und Journalisten geben eine ziemlich fragwürdige Figur ab.
Peter Henning erzählt in diesem Roman einen der spektakulärsten Kriminalfälle Deutschlands nach. Dabei bedient er sich sieben Personen, die mehr oder weniger mit dem Drama in Berührung kommen, und erzählt ihre Geschichten. Henning wechselt permanent die Perspektiven zwischen den Geiselgangstern und den sieben Personen, als verbindende Klammer sollen originale Pressemitteilung des Dramas zu Beginn der Kapitel dienen.

Die Idee eines Romans über das Geiseldrama von Gladbeck hat mich direkt begeistert, da ich damals als Zehnjähriger in den Ferien wie gebannt das Drama vorm Fernseher verfolgt hatte. Peter Henning hat nach eigenen Aussagen umfangreich und mehrere Jahre recherchiert. Vorgenommen hatte er sich scheinbar, im Roman die Beschreibung der Ereignis des Geiseldramas mit einer Medienkritik und einem Gesellschaftspanorama der Achtziger zu verbinden.

Leider wird das Buch aus meiner Sicht diesen Ansprüchen in keinster Weise gerecht. Die Geschehnisse rund um Rösner und Degowski werden den Tatsachen entsprechend nacherzählt. Dies wird weitgehend aus der fiktiven Sicht der Gangster gemacht. Es fehlt aber an Finesse, um der Story Spannung oder Überraschendes zu entlocken. Stattdessen bekommt man küchenpsychologische Einblicke in die Kindheitstraumata von Rösner und Degowski. Die abgehackte Erzählweise tut ihr übriges.

Die sieben Personen, deren Geschichten erzählt werden, nehmen den Großteil des Romans ein. Die Figuren basieren zum Teil auf echten Personen, wirken aber dennoch ziemlich konstruiert und ihre Geschichten wenig mitreißend. Als einzige Figur kann mich die Person des Fotografen Ahrens halbwegs überzeugen, der als Vermittler vermeintlich Gutes tut und am Ende erkennt, Handlanger des Bösen gewesen zu sein.

An Medienkritik wird nicht gespart, sie kommt aber oft ziemlich plump daher. Auch die Polizei bekommt ihr Fett weg, in der Person des ausgebooteten SEK-Leiters, der seinem Frust freien Lauf lässt.

Am ärgerlichsten an diesem Buch sind aber zwei Dinge. Zum einen der total übertriebene Versuch, 80er-Feeling zu erzeugen. Dies wirkt irgendwann nur noch aufgesetzt. Da heißt es "Citizen" statt Armbanduhr, "Massa" statt Supermarkt und "Joola-Tischtennisplatte".
Zum anderen fallen dem Leser ohne groß zu recherchieren zahlreiche Fehler und Ungereimtheiten auf. Als Beispiel seien hier nur mal "ukrainische Prostituierte in Gelsenkirchen" (in Zeiten als es die Sowjetunion noch gab?), "H&M" (total häufig genannt, aber in den 80ern noch wenig präsent in Deutschland) und "Beginn der neuen Bundesliga-Saison stand vor der Tür" (die Saison 1988/89 begann allerdings schon im Juli). Größter Patzer sind die Ortsangaben beim Grenzübertritt der Gangster in die Niederlande. Henning schreibt Grenzübergang Glanerbrug in Richtung Enschede, tatsächlich war dies am Grenzübergang De Lutte in Richtung Oldenzaal.

Alles in allem eine große Enttäuschung. Anstatt aus den packenden Ereignissen so etwas wie einen Tatsachenroman zu machen, nimmt sich Henning den ganz großen Wurf vor und scheitert daran.
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