Rezension zu "Der Weg nach Hause" von Peter S. Beagle
Gerade habe ich das herausragende moderne Märchen Das letzte Einhorn von Peter S. Beagle rezensiert. Ein Roman, den man nur in Superlativen beschreiben kann. Beagle hatte dieses Meisterwerk bereits 1968 geschrieben. Und obwohl es ein weltweiter Erfolg war, der sogar als Zeichentrickfilm verarbeitet wurde, hatte Beagle keine Fortsetzung geschrieben. Gut so. Man muss sich nicht dem Verwertungszwang unterwerfen, um noch den letzten Cent aus der Masse herauszuquetschen und dabei jeden literarischen Anspruch mit Füßen zu treten. Nun hat sich Beagle allerdings 2005 dazu entschieden doch noch einmal die Protagonist*innen aus Das letzte Einhorn auferstehen zu lassen und die Kurzgeschichte Zwei Herzen geschrieben. Vollmundig wird diese als „die meisterhafte Fortsetzung des Klassikers“ angekündigt. Und um es gleich zu sagen, nein, es ist keine wirkliche Fortsetzung und nein, da ist auch nichts meisterhaft. Aber so richtig schlimm wird es mit der zweiten Geschichte „Der Weg nach Hause“.
2023 war Beagle der Meinung, er müsse die Geschichte von Sooz aus Zwei Herzen weiterführen oder was auch immer er sich gedacht hat. Falls er sich überhaupt irgendetwas gedacht hat. Herausgekommen ist jedenfalls eines der mit Abstand schlimmsten und schlechtesten Fantastikwerke, die ich je gelesen habe. Beagle ist dem Zeitgeist erlegen immer noch einen draufsetzen zu müssen. In Das letzte Einhorn werden schwierige und wichtige Themen, wie Einsamkeit, Trauer, Tod, Depression, Schein und Sein großartig verarbeitet. Offenbar wollte er das mit Sooz noch übertreffen, also musste ein noch schlimmeres Trope her. Aber der Reihe nach.
Nostalgiewelle reiten
Den ersten kürzeren Teil des Bandes bildet die Kurzgeschichte Zwei Herzen bei der die Leser*innen Altbekannten wiederbegegnen. Ein kleines Dorf wird von einem Greif terrorisiert. Und egal wer sich dieser Bestie in den Weg stellt, er wird getötet. Sooz, ein junges Mädchen, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, macht sich daraufhin auf dem Weg zum König. Irgendetwas müsse doch getan werden. Es schließt sich wieder ein Roadtrip an, das bekannte Muster aus Das letzte Einhorn. Wie ehemals das Einhorn trifft nun Sooz auf Schmendrick und Molly Grue. Das Ganze spielt allerdings lange nach den Geschehnissen der Ursprungsgeschichte. Aus dem Prinzen Lír ist mittlerweile der König geworden. Ein alter, gebrechlicher König. Und so ist es an der Zeit für eine neue Heldengeschichte der alten Freunde.
Und obwohl der Erzählstil wieder ganz wunderbar ist und sehr nah am Original, kann die Geschichte nicht im Geringsten überzeugen. Den Zauber aus Das letzte Einhorn kann Beagle einfach nicht mehr einfangen, dazu ist die Geschichte zu gehetzt, zu konstruiert. Die liebgewonnenen Figuren des Originals spielen nur am Rande eine Rolle. Es gibt keinen wirklichen Spannungsbogen, weil von Anfang an klar ist, was passieren wird. Aber selbst das bleibt hinter den Erwartungen weit zurück. „Zwei Herzen“ hat einzig einen nostalgischen Wert, weil es an die wunderbare Geschichte vom Einhorn erinnert. Und so wirkt die Kurzgeschichte auch nur wie eine längere Werbung, um sich mal wieder das Original anzuschauen oder zu lesen. Insofern ist es aber auch keine Zeitverschwendung und wenn man Hardcore Fan ist, macht man mit der Geschichte sowieso nichts verkehrt.
Was zur Hölle?
Ganz anders bei der zweiten Geschichte Sooz. Die kann man getrost ignorieren. Das Buch sollte man sich jedenfalls auf gar keinen Fall nur für diese Geschichte kaufen. Zwei Herzen war ja bereits in anderen Veröffentlichungen enthalten. Keine Ahnung was in Beagle, seine Lektor*innen und den Verlag gefahren ist, diese Geschichte in einem Band zu veröffentlichen, der damit wirbt die Fortsetzung zu Das letzte Einhorn zu sein.
Triggerwarnung sexuelle Gewalt!
Wenn ein mittlerweile 84-jähriger Mann eine Geschichte aus der Ich-Perspektive eines 17-jährigen Mädchens schreibt und der Kern der Geschichte die Gruppenvergewaltigung eines kleinen Mädchens ist, dann muss man sich schon Fragen gefallen lassen. Die Vergewaltigung ist das Fundament der „fantastischen“ Erzählung. Letztlich kann man die ganze düstere Geschichte aus dem Feenland als traumatische Verarbeitung der Vergewaltigung lesen. Und auch wenn diese nicht permanent im Vordergrund steht, so wird sie doch deutlich geschildert und ist immer präsent.
Die ganze weitere Geschichte, das Land der Geträumten (der Traumatisierten), das Land der Elfen und der kleinen Leute (der Opfer), ist eine vollkommen wirre Phantasmagorie über Schuld, Flucht, Angst und Traumaverarbeitung. Die Erzählung ist dementsprechend düster, langatmig und vor allem dem Gegenstand vollkommen unangemessen. Hier findet man keine Fantastik, keinen Surrealismus, hier herrscht die verquere Vorstellung eines alten Mannes über das Seelenleben eines vergewaltigen Mädchens. Wofür soll das Gut sein? Soll das als Anleitung für die Trauer- und Traumaverarbeitung dienen? Und wie genau soll das bitte schön funktionieren? Soll das als Gesprächsanreiz für die Eltern dienen? So wie es bei Das letzte Einhorn an mehreren Stellen hervorragend gelingen kann?
Ich habe den Eindruck, dass Beagle hier einfach nur noch einen draufsetzen wollte. Den Tod hat er ja schon mehrfach verarbeitet, jetzt musste es unbedingt noch schlimmer werden. Sooz, die 17jährige, die sich durch ihre eigenen Alpträume kämpft, um die Gruppenvergewaltigung psychisch zu überleben. Der Weg nach Hause. Unfassbar. Und das Ganze als fantastisches Märchen in der Welt des letzten Einhorns verpackt. Gruselig. Wirklich gruselig, was sich Autor und Verlag dabei gedacht haben.