Rezension zu "Die Fortsetzung der Liebe mit anderen Mitteln" von Peter Sheridan
»Die junge Nonne erwiderte Philos Blick und meinte eine Wikingerin vor sich zu haben. Die hatte breite Schultern, und der Kopf saß irgendwie eigenartig auf dem Körper. Dann bemerkte Schwester Rosaleen, dass die Frau keinen Hals hatte.«
Philo kann man getrost als „auffällig“ bezeichnen. Zu ihrem Körperumfang (240 Pfund bei 1,68 Meter Größe) und den Tätowierungen kommt ein Wesen, das mit Gefühlen und Meinungen noch nie hinterm Berg halten konnte. Was bringt eine solche Frau dazu, Zuflucht in einem Kloster zu suchen? Natürlich die Liebe, oder besser gesagt das, was aus der Liebe zwischen ihrem Mann Tommo und ihr geworden ist.
Schon nach kurzer Zeit hat Philo in das dem Kloster angeschlossene Seniorenzentrum richtig Leben gebracht, mit frischem Wind und Kreativität die lähmende Langeweile vertrieben. Um zwei der älteren Herrschaften will Philo sich noch besonders kümmern: Gemüsehändler Cap ist seit über 40 Jahren in Dina verliebt, aber Dina heiratete damals nicht ihn, sondern seinen besten Freund. Was folgte, ist als „Gemüsekrieg“ jedem Kind in der Gegend bestens bekannt. Aber nun ist Dinas Ehe schon lange Geschichte und Cap, das spürt Philo genau, liebt Dina noch immer. Da muss sich doch was machen lassen…
Dieses Buch hat mich wirklich positiv überrascht, denn ich hatte zunächst nur mit einer leichten Komödie gerechnet. Was dann auch in der Art von „Sister Act“ beginnt, bekommt im Laufe der Handlung erstaunlich viel Tiefgang. Thematisiert werden zum Beispiel der Niedergang bestimmter Stadtviertel (die Handlung spielt in Dublin, im Viertel North Wall), Alkoholismus und Jugendkriminalität.
Philo hat auf der Flucht vor ihrem Ehemann ihre Kinder zurückgelassen und kämpft sich nun, gehandicapt durch eine schlechte Schulbildung, in Sachen Wiedererlangung des Sorgerechts durch einen Behördendschungel. Frust, Angst und Kummer besänftigt sie mit äußerst fetthaltigen Fressattacken, um andererseits stark unter ihrem Übergewicht zu leiden.
Philo war mir als Charakter sehr sympathisch. Sie hat einige Fehler (wer nicht?) und hätte sicher eine Menge Dinge in ihrem Leben besser anders gemacht, trotzdem bangte ich mit ihr mit und hoffte auf ein gutes Ende. Manchmal war sie einfach rührend…
»Philo hatte in ihrem ganzen Leben noch kein vorbehaltloses Geschenk bekommen. Es war ein eigenartiges Gefühl, sich nicht revanchieren zu können. Es fühlte sich an, als sei sie wertvoll allein dadurch, wie sie war.«
Ein schöner Satz! Überhaupt gefiel mir der Stil gut, es gab herrliche Formulierungen, wie zum Beispiel die Beschreibung einiger Pflanzen, deren »prachtvolle Blätter glänzten, als ob sie lächelten« Wenn hingegen Philo sprach oder dachte, wirkte ihre Sprache sehr authentisch und passte perfekt.
Und die Geschichte zwischen Cap und Dina? Schwer romantisch einerseits ließ sie mich trotzdem nachdenken: Über Beziehungen, verpasste Chancen, die Möglichkeit, sich zu ändern und über Neuanfänge.
Fazit: Mal komisch, mal nachdenklich. Mal romantisch, mal traurig. Ein Buch, in dem überraschend viel drinsteckt.
»Er hatte keine Ahnung, was er singen sollte, bis er auf einmal Dina am anderen Ende des Raumes sah. Dies löste etwas Unerwartetes in ihm aus, eine unbezähmbare Herzensbotschaft. … Dieses Lied hatte er ihr vor vierzig Jahren vorsingen wollen, bevor der Gemüsekrieg dazwischengekommen war und sie getrennt hatte. Dieser Krieg hätte nie stattfinden dürfen. Er war aus Liebe entflammt und hatte dann seine Eigendynamik entwickelt. Krieg war eigentlich nicht das richtige Wort dafür. Es war Liebe mit anderen Mitteln gewesen, mehr nicht, und sie hatten es so weit getrieben, dass es kein Zurück mehr gab.«