Syrien.
Als 2011 die ersten Proteste gegen das Regime Baschar al-Assads laut werden, ahnt niemand, wie schnell sie eskalieren werden. Welche verheerenden Folgen, welche grauenvollen Entwicklungen diese nach sich ziehen werden, überstieg alle Vorstellungskraft.
Ein Funke, der einen Brand unvorstellbaren Ausmaßes auslöste.
Eine Wirtschaftskrise, die vor allem auf dem Land zu schweren Existenznöten führte, Wut, die schon lange schwelte gegenüber einem korrupten Regime und seinen Mitarbeitern. Ein leiser Protest in Form von Graffiti.
Daraufhin folgenschwere Gewalt und Brutalität als Einschüchterungstaktik seitens des Regimes, aber auch die Hoffnung auf einen arabischen Frühling, wie er in Tunesien und Ägypten zu beobachten war bei der Bevölkerung.
Die Hoffnung auf Hilfe durch den Westen oder der NATO bei Kundgebungen wie in Libyen … Doch die Hoffnungen wurden schnell zerschlagen.
Denn es wird nur allzu sehr auf die beschwichtigenden Reden Baschar al-Assads gehört, die sich letztendlich aber als leere Worte erweisen.
Innerhalb kürzester Zeit mischen sich auf beiden Seiten ausländische Verbündete ein. Zahlreiche oppositionelle Gruppierungen entstehen, dass kaum noch ein Überblick darüber möglich ist, extremistische Terrornetzwerke finden einen Nährboden in all dem Chaos, um eigene Interessen und Ideologien zu verfechten.
Der Krieg ist längst zu einem Stellvertreterkrieg der Großmächte ausgeartet. Unter dem explosiven Zerfallsprozess des Landes leidet vor allem die Bevölkerung. Eine halbe Million Tote, elf Millionen Flüchtlinge (die Hälfte aller Einwohner Syriens) sind Vertriebene im eigenen Land, eine Million Flüchtlinge ziehen weiter nach Europa.
Die Grausamkeiten kennen kein Ende. Die Zivilbevölkerung wird mit Fassbomben und Foltermethoden terrorisiert. Infrastruktur und Kulturschätze des Landes sind längst zerstört, medizinische und Lebensmittelversorgung liegen darnieder.
Doch wie hat das alles begonnen?
Die Wurzeln liegen eigentlich schon in den Ereignissen nach dem 1. Weltkrieg, als das osmanische Reich unter Großbritannien und Frankreich aufgeteilt wurde, sowie bei der Gründung von Israel und Palästina nach dem 2. Weltkrieg.
Grenzen wurden willkürlich gezogen inmitten von Bevölkerungsgruppen unterschiedlichster Ethnien und Glaubensgruppen, was zu immensen Spannungen führte.
So wird deutlich: der Aufstieg des Islamischen Staats (2014 gegründet), dessen Interesse es ist, diese Grenzen wieder aufzulösen und ein grenzübergreifendes Kalifat zu errichten, ähnlich wie andere Terrornetzwerke, ist weniger eine Ursache, als ein Symptom der Konflikte Syriens.
Es zeigt aber auch: dass der Sturz des Assad-Regimes allein hier keine langfristige Lösung bieten kann, zu vielschichtig sind die Interessen der einzelnen Oppositionsgruppen, die das Machtvakuum nach eigenem Gutdünken ausnutzen würden.
Apokalyptische Szenen, was bleibt sind tiefe Wunden und Narben
Allein die syrische Küche hat als Substitut für Heimat überlebt.
Und einen einheitlichen Konsens gibt es nur noch im Stolz auf die historische Tiefe und Kultur des Landes als „Anker einer gemeinsamen Identität“ (S.33).
Dass dies nur noch eine Farce, ein Konstrukt ist, wissen wir spätestens nach den Bildern, die wir alle gesehen haben.
Die meisten Menschen haben nicht mehr ausreichend Zugang zu Wasser, Nahrung, Strom, medizinischer Versorgung, Arbeit oder Schulen und sind inzwischen verarmt. Sie bleiben gezielten Anschlägen auf Krankenhäuser und Wohnorte ausgesetzt – Schutz gibt es nirgendwo mehr.
Von den zahlreichen Verstößen gegen das Völkerrecht und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ganz zu schweigen.
Gebiete werden belagert und weiterhin erbitterte Luftkriege geführt. Russland, Iran und das Regime auf der einen Seite, der Westen, Saudi-Arabien, die Türkei auf der anderen, zahlreiche extremistische Gruppen, dazwischen die Zivilbevölkerung. Selbst die Vereinten Nationen ziehen sich aufgrund der Lebensgefahr schlussendlich mit Hilfsprojekten zurück.
Siegen heisst, den Tag überleben … oder?
Der Kampf um die zweigeteilte Stadt Aleppo ist dabei eine Analogie für ganz Syrien.
Zwei Lager, die sich nur noch mit Hilfe von Extremisten auf dem Schlachtfeld halten können. (S. 130) Aus den ursprünglichen Rebellen ist längst „eine“ heterogene Opposition geworden: Clans, Gruppen mafiöser, religiöser oder terroristischer Strukturen und Strömungen der moderaten Opposition kämpfen gegeneinander.
Bei all dem gehen in der Wahrnehmung des Westens und der Medien Gruppierungen unter, die für friedlichen Widerstand eintreten.
Es gibt sie noch, demokratisch gewählte Stadt- oder Lokalverwaltungen, die selbst organisiert den Alltag und Politik gestalten.
Oder Aktivisten-Gruppen, wie z.B. die „Weißhelme“, die Initiativen ins Leben rufen, um überparteilich zu helfen, ohne Verfolgung eigener Machtinteressen. Unter Einsatz ihres Lebens, im Untergrund, für einen letzten Rest Würde und Menschlichkeit.
Und vielleicht ist deren Bedeutung wichtiger denn je, für eine langfristige Lösung…
Auch wenn diese momentan in weiter Ferne scheint …
Die Autorin Petra Ramsauer ist studierte Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Nah-Ost. Seit 20 Jahren steht in ihrem Fokus die dortige Krisen- und Kriegsberichterstattung, zu denen sie auch vor Ort reist.
Sie beleuchtet in ihrem Buch die geopolitische Entwicklung des Kriegs (bis Ende 2016), die historischen Hintergründe und wichtige Eckdaten des Assad-Regimes, sowie die Interessen der verschiedenen Akteure.
Der Fokus ist hier ganz klar auf Syrien selbst, weniger auf dem „Stellvertreterkrieg“ und seinen Parteien. Ein aufklärendes Buch, das das Verstehen der Zusammenhänge erleichtert, wenngleich die Ratlosigkeit bezüglich Lösungen natürlich weiterhin bestehen bleibt, sachlich und erschütternd, aber wert, gelesen zu werden! Denn dieser Krieg geht uns alle etwas an – spätestens wenn wir auf die Geschichte der Geflüchteten hier treffen!
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