Phil LaMarche

 3,2 Sterne bei 17 Bewertungen
Autor*in von American Youth.

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Cover des Buches American Youth (ISBN: 9783407741707)

American Youth

 (17)
Erschienen am 14.09.2009

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Cover des Buches American Youth (ISBN: 9783888974816)
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Rezension zu "American Youth" von Phil LaMarche

Rezension zu "American Youth" von Phil LaMarche
HeikeGvor 16 Jahren

Ein "hässlicher" Amerikaner

Lüge, Schuld und Verschweigen, das Herausarbeiten menschlicher Wertvorstellungen, aber vor allem Einsamkeit sind die Kernthemen in Phil LaMarches Debütroman American Youth, in einer soliden und guten Übersetzung von Malte Krutzsch.

Das Buch beginnt damit, dass zwei Jungen durch ein Waldstück laufen. "Die Männer hatten sämtliches verwertbares Holz mitgenommen, und nur die unbrauchbaren Bäume stehen gelassen: die jungen, die verstümmelten und verwachsenen, die morschen und kranken. Die Jungs bahnten sich ihren Weg durch das Gewirr von liegengebliebenen Ästen, die jetzt den Waldboden bedeckten. Die Sonne brach durch das lichte Blätterdach und brannte ihnen ins Genick."

LaMarche konzipiert einen starken Romananfang. Er zeichnet subtile Metapher: Im Laufe des Handlung wird zunehmend ersichtlich, dass die Jungs gleichzeitig die jungen, verstümmelten Bäumen verkörpern und das Durcheinander auf dem Waldboden dem "Durcheinander an Wertvorstellungen" gleichzusetzen ist, welches zunehmend kleine nordamerikanische Städte befällt.
Sein Debüt-Roman ist in einer solchen kleinen Stadt im Bundesstaat New Hampshire angesiedelt, mitten in einer Wirtschaftsflaute. Die Väter verlassen ihre Familien und fahren der Arbeit hinterher, die Mütter sitzen allein zu Haus, in einheitlichen, aus dem Boden gestampften Vorstadtsiedlungen, überfordert mit der neuen Situation. Sie fristen fortan ihr Dasein vor dem Fernseher. Die Kinder und vor allem die Jugendlichen sind mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Sie vertreiben sich ihre Langeweile, indem sie - wie hier im Roman - Molotowcocktails in ein aufgegebenes Wohnungsbauprojekt werfen oder mit den Waffen des Vaters "herumspielen".

LaMarche setzt in American Youth diese allgemeinen Verfremdungen ganz spezifisch in der Geschichte eines Jungen um, der am Ende "wie ein heimwehkranker Felsen fällt".
"Der Junge", wie er permanent im Roman genannt wird, hat auch einen Namen, "Ted" Theodore LeClare. Dieser wird jedoch während der weiteren Erzählung nur äußerst selten genannt.

Ted befindet sich auf der Schwelle zum Erwachsensein, als wir ihm das erste Mal begegnen.
Durch eine unglückliche, leichtsinnig herbeigeführte Situation, wird ein Freund vom ihm erschossen. Fortan wird er von seinen Freunden gemieden. Über den "Tathergang" hat er Stillschweigen zu bewahren, indoktriniert seine Mutter.
Mit der Situation allein überfordert, treibt es ihn in die Arme der "American Youth", einer neonationalistisch geprägten Gruppe um ihren Führer George Haney. Diese tritt als eine Art geheime Bürgerwehr auf, denunziert Drogenhändler, verpfeift Leute, die Alkohol trinken und veranstaltet "gezielte Aktionen" gegen Andersdenkende.
Bereits vor dem Unfall emotional zurückgezogen, beginnt für den Jungen nun eine Spirale nach unten. Nur das Zufügen von Schmerzen mittels eines heißen Feuerzeugs verschafft ihm kurzzeitig Erlösung. Für Minuten kann er sich selbst wieder spüren und "erleben". Im Endeffekt ist dies jedoch kein Ausweg für seine innere Leere.

LaMarche hat seinen Schreibstil stark an Cormac McCarthy angelehnt, an dessen äußerst minimalistische, geradlinige, schlichte und schmucklose Erzählweise. "Der Junge" erinnert stark an dessen Roman Die Straße. In äußerst knappen, kurzen, teils lakonischen Sätzen und Dialogen ohne Schnörkel und Metapher erzeugt der Autor ein bewusstes Ausgegrenztsein des Jungen, aber auch des Lesers, ein geradezu verstörtes Gefühl von Hilflosigkeit und Leere. Hier wäre mehr auf jeden Fall zu viel gewesen. Gerade diese Knappheit gibt das zerrissene Innenleben von Ted sehr gut wieder. "Ihm gefiel das Schweigen. So konnte er bei sich bleiben, hinter seinen Augen, wo alles still und nicht so kompliziert war."
Oft antwortet der Junge nicht, sondern "er zuckte die Achseln". Diese Hilflosigkeit eines Heranwachsenden wird nahezu physisch an den Leser weitergegeben.

Zuweilen jedoch neigt LaMarche zur Übertreibung.
"Der Junge wusste, dass es gefährlich war, mit einem Angetrunkenen zu fahren. Er hatte die Fernsehspots gesehen. Er hatte die Kampagnen in der Schule mitbekommen. Aber um das körperliche Wohlergehen ist nur der besorgt, dem etwas daran liegt. In seinem betrunkenen Zustand stellte sich der Junge vor, wie sie volle Kanne gegen eine der mächtigen Kiefern am Straßenrand krachten, wie sein Körper gegen das Armaturenbrett knallte und durch die Windschutzscheibe flog, kopfüber in die Bäume und Bäumchen. Sein Körper dürstete nach Schmerz. Er bettelte danach, verbrannt, verbrüht und zerschmettert zu werden. Er sehnte nach Erlösung."
Dieser Ausschnitt aus dem Buch macht deutlich, wie zerrissen Ted ist, aber er hält den Leser gleichzeitig davon ab, in seine Nähe zu kommen. LaMarche überzeichnet Dinge, so als ob man "Meerrettich als Beilage statt als Gewürz serviert bekäme" bzw. flüchtet sich teilweise in oberflächliche Stereotype. Diese Art zu schreiben lenkt von den feinfühligeren Bestandteilen des Romans ab. Der Leser wandelt immer zwischen den Polen, findet keinen richtigen Zugang zum Geschehen und zu den Gefühlen des Jungen.

Auch aus der ersten sexuellen Beziehung zu Colleen, einem Mädchen welches eigentlich mit George liiert ist, ideell aber nichts mit den "American Youth" zu tun hat, schöpft der Junge keine Kraft. Diese Romanze wird von LaMarche genauso nüchtern und sachlich, fast abstoßend beschrieben.

Vieles bleibt vage unter der Oberfläche, wird nur angedeutet, ohne klar ins Bild gerückt zu werden. Die Verknüpfung der Handlungsstrukturen ist nicht optimal gelungen. Die Agierenden sind etwas zu schwach, fast oberflächlich skizziert.
Das ist das größte Problem des Romans. Es ist kein schlechtes Buch - es ist flüssig und recht spannend zu lesen - aber die Entfremdung und der Mangel an Überraschungen lassen nur einen profanen Eindruck zu.

Fazit: Wie Ted, ist auch der Leser nie näher, als wenn er "irgendwo innerhalb [seines] Schädels, das Zimmer durch die Fenster [seiner] Augen beobachtet."
Das ist zwar recht nah, aber es war niemals nah genug.

Cover des Buches American Youth (ISBN: 9783888974816)

Rezension zu "American Youth" von Phil LaMarche

Rezension zu "American Youth" von Phil LaMarche
Ein LovelyBooks-Nutzervor 16 Jahren

Die Themen Waffen und Jugend in einem US-amerikanischen Roman zu vereinen, könnte bisweilen schief gehen, einfach auf Grund der Tatsache, dass die Geschehnisse blutiger geschildert werden könnten als nötig.

Phil LaMarche jedoch gelang ein atmosphärisch dichtes Buch; die Sprache ist sparsam und dadurch umso wirkungsvoller – einziger Nachteil daran ist, dass die Figuren relativ oberflächlich bleiben. Dem Leser gelingt nur beim Hauptprotagonisten Ted ein In-die-Figur-Hineinversetzen – wobei das meiner Meinung nach auch völlig ausreicht. Denn obwohl die Motive, Familienhintergründe und Gedankenwelten der Mitglieder der „American Youth“ weitestgehend im Dunkeln bleiben, hat man nicht das Gefühl, dass da etwas fehle – und mal ehrlich – wer möchte sich mit patriotistischen, für 'amerikanische Werte' auch mit Gewalt kämpfenden, jungen Menschen identifizieren können? Eigentlich doch keiner.

Von mir gibt es vier Punkte – für einen sehr gut gelungenen, soliden Debütroman eines jungen amerikanischen Schriftstellers – der hoffentlich mit seinem nächsten Buch den Erstling noch übertreffen möge.

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