Rezension zu "Das Vermächtnis des Bösen" von Philip Jolowicz
Hardy Lansdown hat als Adliger in London die Mittel, die er braucht, um sich Zugang zu einem Ereignis zu verschaffen, das seine morbide Lust am Tod befriedigen kann. Er gibt sich als Assistent des Henkers Berry aus und wohnt der Hinrichtung eines Mannes bei, die furchtbar schief geht. Da Lansdown den Henker am Abend davor abgelenkt hatte, konnte dieser sich kein genaueres Bild vom Todesopfer verschaffen. Als Berry den Strick um den Hals des Verurteilten legt, merkt dieser schon, dass die Falllänge des Seiles für den dünnen Hals zu lang berechnet ist. Doch als dem Opfer der Kopf von der Schultern gerissen wird, scheint sein Assistent Lansdown genau das bekommen zu haben, was er sich erhofft hatte. Doch schon bald kann er sich nicht mehr damit begnügen, nur zuzusehen. Als er schließlich von einer Prostituierten beleidigt und angegangen wird, kommt ein Monster zum Vorschein, wie London es noch nie gesehen hat. Dieses Monster soll in die Geschichte eingehen.
Im heutigen New York dagegen findet Tom, ein junger Anwalt, der sich auf Straßenkriminalität spezialisiert hat, heraus, dass sein Vater in Wirklichkeit gar nicht sein Vater ist. Vielmehr ist er lediglich sein Onkel. Dessen Bruder, Ray Cole, starb aber bereits vor Toms Geburt, indem er sich in einer Londoner Kirche erhängte. Als die junge Juno, eine Geneaologin an ihn heran tritt, begibt er sich gemeinsam mit ihr auf eine Reise, um seinen Stammbaum zu erforschen. Schnell wird klar, dass sein richtiger Vater auf eben dieser Reise auch war und wie es scheint, hat er auch etwas herausgefunden. Kann es sein, dass diese Erkenntnis ihn in den Tod getrieben hat?
Ich habe dieses Buch geschenkt bekommen und konnte mir anhand des Klappentextes erst mal nicht vorstellen, um was es im Buch genau geht. Ich tauchte also in das viktorianische London ein, das mich mit dunklen Gassen, den schmutzigen Bürgersteigen und den gefährlichen Ecken empfing. Ich persönlich stelle mir diese Zeit in London immer in der Nacht vor. Direkt die ersten paar Seiten haben es in sich. Der Autor zeichnet für den Leser ein durchaus bildhaftes Szenario, als er von der Hinrichtung eines Mannes erzählt. Und schon da war mir klar: dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete. Ich sollte recht behalten. Nicht nur, dass Tötungsszenen wirklich ausführlich dargestellt werden, auch Sexorgien, die sich über mehrere Seiten erstrecken, sind vertreten. Schwache Nerven darf man da nicht haben. Mir persönlich macht so etwas immer nichts aus, aber jemand, der mit dem Gedanken spielt, dieses Buch zu lesen, sollte sich darauf einstellen.
Von Anfang an hat mich die Geschichte um Hardy Lansdown viel mehr unterhalten als die von Tom, der in der Gegenwart auf den Spuren seiner Ahnen herumschleicht. Als dann im 1888-Teil Begriffe wie "Whitechapel", "East End" und "Christ Church" fielen, wurde ich doch hellhörig. Als dann auch noch die Namen der Kanonischen Fünf genannt wurden, wusste ich, auf was die Geschichte hinausläuft. Nun kann ich allerdings nicht sagen, inwieweit der Verlauf der Geschichte nachvollziehbar ist. Da ich mich schon lange Zeit für dieses Thema interessiere, war mir schnell klar, dass Hardy Lansdown niemand anderer sein konnte als Jack the Ripper. Für einen kurzen Moment hatte mich das Buch daher voll in seinem Bann. Jeder historisch interessierte Leser kommt da sehr schnell drauf, für die weniger interessierten dauert es eventuell etwas länger, aber ab einem gewissen Zeitpunkt ist eigentlich klar, wohin die Geschichte führt. Leider hat das den Nachteil, dass damit auch schon die Pointe des Buches auf Seite 200 aufgedeckt ist.
Ich liebe Geschichte um, von und mit Jack the Ripper. Eigentlich perfekte Voraussetzungen für eine gute Bewertung. Allerdings taucht mal wieder das Phänomen "Gute Idee, schlechte Umsetzung" auf. Die Erzählersicht wechselt von Kapitel zu Kapitel zwischen 1888 und der Gegenwart. Das ist immer gefährlich. Die Kapitel um Tom habe ich eigentlich mehr aus Pflichtbewusstsein gelesen, da ich einfach wieder zurück ins Jahr 1888 wollte. Im Großen und Ganzen hätte es mir besser gefallen, man hätte den Handlungsstrang aus der Gegenwart komplett weg gelassen, da mir dort die meisten Minuspunkte aufgefallen sind und auch kaum Spannung aufkam. Stellenweise wurde es da wirklich atemberaubend unlogisch und nicht nachvollziehbar. Das fängt schon damit an, dass sie zwei völlig fremde Menschen (Tom und Juno) zum Essen verabreden, sich zweimal treffen und in der Kiste landen. Und das alles wird dann mit dem Satz "Sie liebten sich" gekrönt. Zwei völlig Fremde, die sich nicht kennen.... aber die große Liebe. Is klar, ne...?!? Die Charaktere der Gegenwart waren durch die Reihe durch langweilig und soweit weg von der Realität wie regenbogen-pupsende Einhörner. Tom ist über 30 Jahre von seinem "Vater aufgezogen" worden. Und als er dann herausfindet, dass er eigentlich einen anderen Vater hat, werden sämtliche Gefühle seinem "falschen Vater " gegenüber über Bord geworfen. Da ist es ihm egal, ob dieser den Justizministerposten verliert, für den dieser sein Leben lang gearbeitet hat oder sogar sein Leben lässt. Tom verhält sich wie ein kleines bockiges Kind. Zum Reinschlagen... Auch bleibt das ganze Geschehen unglaubwürdig. Da werden Leute zusammengeschlagen, Menschen bringen sich selbst um und Familien werden zerrüttet, nur weil man Jack the Ripper im Stammbaum findet? Natürlich wäre das jetzt auch nicht unbedingt derjenige, den ich mir im Stammbaum wünschen würde, aber soetwas? Nein!
Aber auch im Handlungsstrang um Lansdown tun sich logische Abgründe auf. Kein normaler Mensch würde die Zusammenhänge erschließen, wie es in diesem Buch dargestellt werden. Prostituierte vergewaltigen Männer in Kirchen (weil der sich null wehrt), Ehefrauen glauben ohne ersichtlichen Grund, mit einem Monster verheiratet zu sein und ein Mann wird scheinbar über Nacht zum Psychopathen. Die Alltagsabläufe von Hardy Lansdown werden stellenweise bis zum Erbrechen genau geschildert. Es dauert lange Zeit, bis aus dem Sehr Ehrenwerten Sir ein kaltblütiger Mörder wird. Doch anstatt diese Zeit zu nutzen, um etwaige Beweggründe und Motive darzulegen, bekommt der Leser später den Eindruck, dass es sich bei Lansdown um zwei völlig verschiedene Menschen handelt. Und das Beste: alles ohne Erklärung!! Selbst die Verbindung zwischen den Handlungssträngen fand ich total an den Haaren herbeigezogen.
Wieso bloß? Jolowicz ist ja nicht der erste Autor, der eine Geschichte um den berühmtesten Serienmörder aller Zeiten geschrieben hat. Und er hatte bestimmt auch nicht die schlechteste Idee. Im Gegenteil: eigentlich ist es beeindruckend, wie er mit Elementen seiner Phantasie und mit Fakten jongliert hat. So bekommt auch William Henry Bury eine Rolle in dem Stück zugedacht und der wurde tatsächlich als ein Verdächtigter angesehen. Das Rätsel um Jack the Ripper wird höchstwahrscheinlich auch auf ewig eins bleiben und es handelt sich um eine Geschichte, die auch heute noch Faszination auf die Menschen ausübt. Hinsichtlich der bewiesenen Fakten hat Jolowicz sich an die Wahrheit gehalten und die Lücken mit seiner eigenen Geschichte gefühlt. Doch vielleicht wollte er einfach zu viel. Wie schon gesagt, hätte er sich nur auf die Handlung um Jack the Ripper beschränkt, hätte dies ein tolles Buch werden können. Immerhin ist es in einem einzigartigen Schreibstil geschrieben, der zwar stellenweise durchaus anspruchsvoll ist, aber zur damaligen Zeit passt. Damit konnte der Autor eine wirklich düstere Atmosphäre erzeugen, die diese Geschichte braucht.
Schlusswort
"Das Vermächtnis des Bösen" hätte wirklich ein Knüller werden können. Die Basics für eine tolle Idee waren da, aber leider happerte es an der Umsetzung. Erschwerend kommt hinzu, dass die Pointe der Story schnell ersichtlich war und das Buch danach so vor sich hinplätscherte. Wer nach der Hälfte noch auf eine spannende Wendung oder ein überraschendes Ende hofft, wird bitter enttäuscht werden. Einzig und allein die Fakten um Jack the Ripper konnten mich überzeugen. Leser, die sich mit der Ripper-Geschichte allerdings etwas auskennen, werden nichts neues erfahren und um sich rein sachlich über das Thema zu informieren, gibt es weitaus besseres.