Cover des Buches Das Orakel vom Berge (ISBN: 9783453522725)
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Rezension zu Das Orakel vom Berge von Philip K. Dick

was ist schon real?

von derMichi vor 8 Jahren

Kurzmeinung: ebenso faszinierendes wie erschreckendes Spiel mit der Realität

Rezension

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derMichivor 8 Jahren
Wer bei Filmen gerne auch nach dem Abspann noch sitzen bleibt, hat gute Chancen, seinen Namen schon einmal gelesen zu haben: Philip K. Dick. Science-Fiction-Erfolge wie "Bladerunner", "Total Recall" und "Minority Report" wurden nach Motiven seiner Romane verfilmt. Auch die vor kurzem gestartet Serie "The Man in the High Castle" basiert auf einem Buch von Dick, das ein wahrhaft erschreckendes Szenario erstehen lässt.
Wir schreiben das Jahr 1962. Die Welt, wie wir sie kennen, sieht ganz anders aus, denn das Deutsche Reich und Japan haben den Zweiten Weltkrieg gewonnen. Demzufolge wurde nicht Europa, sondern vielmehr die USA unter den beiden neuen Großmächten aufgeteilt. In der Mitte befindet sich ein neutraler Pufferstaat, in dem ein merkwüdiges Buch erscheint: darin wird die Realität so beschrieben, wie sie eigentlich sein müsste, mit den Weltherrschern als Verlierer des Krieges. Autor und Leser leben gefährlich und doch können sich einige seiner Faszination nicht entziehen. Zugleich verbünden sich im Geheimen Vertreter beider Regierungen, um ihre ganz eigenen Ziele durchzusetzen.
Kontrafaktische Geschichte ist immer wieder ein spannendes Thema, das sogar von vereinzelten Historikern ernsthaft betrieben wird. Das tatsächlich 1962 erstmals erschienene Buch muss deshalb zu seiner Zeit eine besondere Brisanz gehabt haben. Ein verlorener Weltkrieg dürfte ein ebenso uramerikanischer Alptraum wie eine kommunistische oder gar islamistische Invasion sein. Erstaunlicherweise arrangieren sich manche Charaktere und ihr Umfeld recht passabel mit den Machthabern und können deren Entscheidungen angeblich nachvollziehen, auch wenn es den Mord an Juden, Alten, Kranken und sämtlichen feindlichen Kräften einschließt. Ein deutlicher Wink in Richtung des Mitläufertums, das es zu allen Zeiten gegeben hat. Dick versucht zwar, das Denken der Nationalsozialisten wenigstens einigermaßen begreiflich zumachen, wird dabei aber oft so abstrakt, dass die Absurdität der Ideologie klar zutage tritt.
Erzählerisch setzt der Autor auf mehrere Einzelschicksale, die über Umwege miteinander verknüpft sind. Man fragt sich zuweilen, wo das Ganze eigentlich hinführen soll, was dabei letzendlich herauskommt, wie die Auflösung lautet. Genau diese Fragen beantwortet der Roman, wenn überhaupt, auf eher ungewöhnliche Art und Weise. Man muss schon wiederholt zwischen den Zeilen lesen, um Sinn und Inhalt wirklich nachvollziehen zu können. Liebhaber aktueller Unterhaltungsbelletristik werden sich damit möglicherweise schwer tun. Dennoch ist und bleibt das Buch im Genre der Science Fiction bestens aufgehoben. Schließlich haben die Nazis mittlerweile mithilfe von Robotern und Raumschiffen den Mars erreicht und planen die Kolonialisierung des Weltraums.
In jedem Fall handelt es sich hierbei um waschechte Kunst. Der mitunter poetische aber auch ungewohnte Stil Dicks mag nicht nur darin seine Ursache haben, dass der Autor lange Zeit drogenabhängig war und eigenen Angaben zufolge so manche Idee für dieses Buch, ähnlich wie seine Hauptfiguren, aus dem I-Ging-Orakel bezog. Es ist eine Auseinandersetzung mit einer alternativen Realität, in der die Helden selbst erst herausfinden müssen, was nun echt ist und was nicht. Ein Motiv, das sich durch viele der einzelnen Szenen zieht und diese mehr miteinander verbindet, als es die eigentliche Handlung tut.
Außerdem wird deutlich, dass die daraus entstandene Serie "The Man in the High Castle" zwar eine eher freie, aber dennoch äußerst gelungene Adaption des Stoffes ist. Als hätten die Drehbuchautoren das Buch in eine verständlichere und dennoch gleichermaßen anspruchsvolle moderne Version übertragen und dessen Welt erweitert, ohne aber das Original zu entstellen.
Damit ist die Lektüre für Fans dieser Umsetzung und Liebhaber gut durchdachter Science Fiction definitiv zu empfehlen.

Originaltitel: The Man In The High Castle (Der Mann im hohen Schloss)
Seitenzahl: 272
Format: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch
Verlag: fischer Taschenbuch
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