Rezension zu "Villa Mendl" von Phyllis McDuff
Dies ist die Geschichte der Bettina Mendl, deren Vorfahren Heinrich und Fritz Mendl 1891 aus einer kleinen, in Konkurs gegangenen Bäckerei, die „Ankerbrotfabrik“ machten.Ankerbrot war die größte Brotfabrik Österreich. Nach dem Tod von Fritz Mendl 1931 übernimmt Bettina die Geschicke der Firma, da ihr Bruder und eigentliche Erbe bei einem Schiunfall tödlich verunglückt war.
1938 wird die Firma arisiert und Bettina Mendl gelangt mit nur fünf Pfund in der Tasche auf abenteuerliche Weise nach Australien. Ohne Ausbildung – als „höhere“ und reiche Tochter hat sie zwar Reiten, Tennis spielen und gutes Benehmen auf einem englischen Internat gelernt, aber keinen Beruf.
Sie verdingt sich als Hilfskraft und lernt den wesentlich älteren Joe McDuff kennen. Die beiden können sich eine Existenz aufbauen, doch Bettina lebt lange in der Angst als „feindliche Ausländerin“ interniert zu werden. Ob Deutsche oder Österreicherin – hier machen die englischen Behörden keinen Unterschied.
1947 wird Tochter Phyllis geboren, später dann Tochter Dawn.
Phyllis schildert ihre Schwierigkeiten mit ihrer unsteten Mutter, die mehrmals nach Österreich reist (damals sicherlich eine lange beschwerliche Angelegenheit).
Bettina Mendl führt einen Kampf um Restitution des arisierten Vermögens zu dem nicht nur die „Ankerbrotfabrik“ sondern auch die Titel gebende „Villa Mendl“, das Schloss Itter und ausgedehnte Besitzungen in Österreich gehörensowie Schmuck und insgesamt vier Zeichnungen von Pablo Picasso.
Auf die bohrenden Fragen ihrer Tochter antwortet Bettina Mendl ausweichend, schroff und widersprüchlich. So bleibt Phyllis McDuff nichts anders üblich als andere Verwandte, Vertraute und Weggefährten ihrer Mutter in mühevoller Kleinstarbeit zu befragen.
Puzzleteil um Puzzleteil setzt die Autorin zu einer extrem spannenden Familiengeschichte zusammen, in deren Zentrum eine rätselhafte Frau voller scheinbarer Widersprüche steht.
Welche inneren Konflikte muss Bettina Mendl ausgetragen haben? Zu niemandem ein Wort sagen zu dürfen!
An manchen Stellen erscheint Phyllis McDuffs 287 Seiten umfassende Biographie etwas langatmig. Die Recherche zwischen Österreich und Australien stellt eine echte Herausforderung dar.
Doch die Enthüllungen, die auch durch auf diversen Dachböden, Schließfächern usw. gefundenen Dokumenten belegt sind, entschädigen die Leser. So bleibt man bis zum Schluss von dieser Geschichte gefesselt.
Einige, ebenfalls vor der Vernichtung gerettete Fotos ergänzen die Biographie. Interessant auch die Sidesteps in die Welt der Reichen und Schönen in den späten 1950er.
Fazit:
Mir hat diese Biographie sehr gut gefallen, auch wenn nicht alle Geheimnisse gelüftet wurden. Vielleicht fällt diese Aufgabe Bettina Mendls Enkelkinder zu. Familiäres Spurensuchen ist das Privileg der dritten Generation, wie schon Sasha Batthyani und René Freund vorexerzieren.